Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Silberfischchen

Titel: Silberfischchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
Vom Netzwerk:
kniete sich auf die Arbeitsplatte. Er richtete sich auf, konnte das gesamte Innere
     des Schranks überblicken. Er war leer, kein kleines Päckchen oder Fläschchen, ganz hinten in einer Ecke, nichts. Frau Potulski
     bückte sich nach dem Zimt, legte ihn behutsam auf den Küchentisch.
    |178| »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, sie lächelte, nicht unfreundlich und ging.
    Er konnte das Leder der Couch knarren hören unter ihrem Gewicht, ließ seinen Rumpf auf die Fersen sinken. Als er hinabsteigen
     wollte, fiel sein Blick auf das Fenster, die Küche spiegelte sich in der Scheibe. Er sah sich ungeschickt auf der Arbeitsplatte
     knien, sah sich schwanken, als er ein Bein nach der Sitzfläche ausstreckte, musste sich an der geöffneten Schranktür festhalten,
     sonst wäre er nach hinten gekippt. Er sah hinab, das Beige der Arbeitsplatte war das gleiche wie das ihrer Jacke, bemerkte
     er, streckte das Bein weiter aus, war erleichtert, als sein Fuß den Stuhl berührte.
     
    »Arme hoch«, sagte er, »Arme vom Körper abspreizen.«
    Sie sah zu ihm auf, ein Buch lag aufgeschlagen auf ihren Oberschenkeln.
    »Die Beine leicht auseinander«, sagte er, sie zog eine Augenbraue hoch.
    »Aufstehen!« Er brüllte.
    Sie stand auf, hob die Arme, hielt sie angewinkelt über dem Kopf wie im Film, Hände hoch, ihre Lippen zusammengepresst, nicht
     wütend, nein, belustigt, als unterdrücke sie ein Lachen.
    Er tastete zunächst ihre Seiten ab. Begann unter den Achseln, ließ die Handflächen hinabgleiten, fest gegen ihre Rippen gepresst,
     hinabgleiten bis zu ihrer Taille, tastete den Hosenbund ab, fuhr mit den Händen über ihre Hüftknochen, die Hosentaschen, sie
     waren leer. Seine Hände glitten die Außenseite ihrer Beine entlang, er musste weiter runter. Er ging vorsichtig in die |179| Hocke, kniete sich schwerfällig auf die Dielen, sah nicht hoch, er wusste, sie lächelte. Die Hosensäume glitten durch seine
     Finger, nichts, kein Päckchen, keine Tabletten, nichts. Er umfasste ihre Knöchel.
    »Und nun?«
    Er sah auf, sie hatte die Augenbrauen hochgezogen, hochgezogen zu spitzen Dreiecken.
    »Soll ich mich ausziehen und nach vorn beugen?«
    Er wollte aufstehen, versuchte sich aus der Hocke hochzudrücken, seine Oberschenkel zitterten, er musste sich festhalten,
     an ihren Beinen, seine Knie knirschten, als er sie durchdrückte, er stand so dicht vor ihr, dass ihre Bäuche sich beinahe
     berührten.
    »Damit Sie alle Öffnungen durchsuchen können?« Ihr Tonfall belustigt. Unvermittelt wandte sie sich ab, die Entfernung zwischen
     ihren Bäuchen wuchs rasch.
    »Sie müssen die Küche aufräumen«, sie deutete zum Esstisch, »sonst kann ich nicht abwaschen.« Nahm das Buch und setzte sich
     wieder auf die Couch. Sie konnte es geschluckt haben. Sicher verpackt. Rauschgifthändler taten das, nicht zu seiner Zeit,
     er hatte davon in der Zeitung gelesen, verpackten es in Gummi und schluckten es. »Die Küche«, sagte sie.
     
    Er ließ sich in den Sessel fallen, deutete auf das Buch. Es war der Bildband.
    »Der gehört mir.«
    Sie betrachtete weiter die Auffahrt eines Gutshofs, die Bediensteten in schwarz-weißen Uniformen vor dem Portal aufgereiht.
     Er deutete auf das Bild, »alles Polen«, sagte er. Frau Potulski wich seiner Hand aus. |180| Zog den Bildband weg, als er die Finger nach ihm ausstreckte.
    »Ich werde ihn angucken dürfen«, sagte sie.
    »Seien Sie still, ich muss nachdenken«, er fühlte, wie sich seine Handflächen auf seine Wangen legten, er schloss die Augen.
     Er bot ihr ein Bild der Ratlosigkeit, dessen war er sich bewusst. Das Gesicht in die Hände gestützt, die Ellbogen auf der
     Sessellehne, sein Nacken gebeugt. Schwach. Er musste das Gift finden, in ihren Taschen war nichts Auffälliges gewesen, als
     er sie durchsucht hatte. Sie musste es die ganze Zeit bei sich getragen haben. Und entsorgt. In der Toilette. Im Ausguss.
     Aus dem Fenster gestreut. Sie hatte ihm keine tödliche Dosis gegeben, er hatte nicht aufgegessen, das musste er bedenken.
     Dennoch, ein Gift wie Arsen, er versuchte sich an die genauen Symptome zu erinnern, eine Substanz, die nach und nach beigebracht
     wurde. Sie konnte es seit Tagen in seine Mahlzeiten gemischt haben. Konnte die Dosis gesteigert haben, hatte zu viel genommen,
     so dass es kribbelte. Wenn sie es allmählich verabreichte, dann musste es noch da sein, in der Wohnung, dann hatte sie es
     nicht entsorgt. Er presste sein Gesicht fester in die Handflächen. Er war

Weitere Kostenlose Bücher