Silberflügel: Roman (German Edition)
Eule und riss einen Fetzen Fleisch von ihrer Brust ab.
Schatten zuckte überrascht zusammen.
„Ihr seid keine Fleischfresser?“, sagte Goth interessiert, als er das Stück Eule als Ganzes heruntergeschlungen hatte.
„Nein.“
„Ihr dürft gerne mal versuchen.“
„Nein, danke.“ Es roch abstoßend nach Blut und Schatten sah, wie Marina ein paar Schritte von der toten Eule abrückte.
„Wo wir herkommen, sind viele Fleischfresser“, erklärte Goth. „Es tut mir Leid, wenn es euch beunruhigt.“
„Woher kommt ihr denn?“, fragte Marina.
„Aus dem Dschungel. Wenn die Menschen nicht wären, dann würden wir uns jetzt dort aufhalten. Wir sind erst letzte Nacht entkommen. Schaut.“ Er reckte den Flügel zurück und das Mondlicht fiel auf den dicken schwarzen Metallring um seinen Unterarm. Schatten holte tief Luft und schaute zu Throbb hoch, der immer noch über ihnen kreiste. Auch an seinem Unterarm glänzte dunkel ein Ring.
„Entkommen?“, fragte Marina stirnrunzelnd. „Ich verstehe nicht.“
„Du bist auch ihr Gefangener gewesen, wie ich sehe“, bemerkte Goth und deutete nickend auf ihren Ring.
„Nein. Sie haben mich nicht gefangen gehalten. Sie haben mir den Ring gegeben und mich freigelassen, aber …“
„Sie haben dich nicht in den künstlichen Dschungel gebracht?“
Schatten blickte zu Marina, die sprachlos nur den Kopf schüttelte.
Während Goth fraß, erzählte er ihnen, wie er von den Menschen gefangen wurde, und von dem Monat, den er in ihrem Dschungelgefängnis verbracht hatte. Schatten hörte aufmerksam zu, als die Riesenfledermaus beschrieb, wie die Menschen ihm ins Gesicht geleuchtet und Nadeln in ihn hineingestochen hatten.
„Aber warum sollten die Menschen das tun?“, fragte Marina.
„Ich denke, sie haben uns studiert. Sie wollen unsere Flugfähigkeit und unser Sehen bei Nacht haben. Sie beringen uns, um uns als ihre Gefangenen zu kennzeichnen.“
„Nein“, sagte Marina so leise, dass Schatten es kaum hören konnte.
Er wusste nicht, was er denken sollte. Alles, was Goth sagte, widersprach vollkommen dem, was man ihm erzählt hatte: Dass der Ring ein Zeichen des Großen Versprechens sei, ein Bindeglied zwischen den Fledermäusen und den Menschen, dass die Menschen ihnen irgendwie helfen würden. Konnten Frieda und Zephir … und sein Vater … konnten sie alle irren? Ihm wurde übel.
„Sie haben mich nicht gefangen genommen“, wiederholte Marina hartnäckig.
Goth zuckte die Achseln. „Sie sind nicht unsere Freunde, die Menschen. Und sie werden bestraft werden“, fügte er finster hinzu.
Drei klagende Rufe tönten durch die Nachtluft.
„Was war das?“, fragte Goth und sein Haarschopf stellte sich auf.
„Andere Eulen“, sagte Schatten. „Sie rufen nach ihrem Wachposten. Wenn er sich nicht meldet, werden sie kommen. Wir sollten abhauen. Wo fliegt ihr lang?“
„Das wissen wir nicht. Wir wollen nach Süden zum Dschungel, aber wir sind mit euren Sternen hier nicht vertraut.“
„Ihr kommt von einem Ort mit anderen Sternen?“, fragte Schatten.
„Ganz richtig. Heller und zahlreicher als die hier.“
Schatten wandte sich ungläubig zu Marina. Niemand hatte ihm je von einer Dschungelwelt erzählt, wo die Fledermäuse Fleisch fressen und der Himmel andere Sternbilder hat. Ob Frieda oder Zephir überhaupt von solch einem Ort wussten?
„Ist es hier immer so kalt?“, fragte Throbb schaudernd.
„Nur im Winter.“
„Winter“, sagte Throbb, als ob er ein unbekanntes Wort zum ersten Mal ausspräche.
Schatten staunte. Vielleicht gab es keinen Winter, wo die beiden herkamen. Er hatte das Gefühl nützlich zu sein.
„Wir wandern“, erklärte er. „Jeden Winter ziehen wir nach Süden, um einen wärmeren Ort zu suchen, wo wir überwintern können.“
„Überwintern?“, fragte Goth.
„Ein langer Schlaf.“
„Wie lang?“
„Monate.“ Es freute ihn, dass jemand von der Idee des Überwinterns genauso überrascht war wie er selbst. „Das ist alles, was wir tun, schlafen und schlafen, bis es wärmer wird.“
„Wie ungewöhnlich“, sagte Goth lachend. „Fledermäuse, die endlose Monate lang schlafen. Was für merkwürdige Bräuche ihr im Norden habt!“ Er schaute zum Himmel hoch. „Aber du kannst dich an diesen Sternen orientieren, oder?“
„Wir fliegen auch nach Süden“, sagte Schatten. Dann fügte er, ohne lange zu überlegen, hinzu: „Kommt mit uns. Wir versuchen, meine Kolonie einzuholen. Ich bin sicher, Frieda könnte euch sagen,
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