Silberflügel: Roman (German Edition)
Schattens Aussage noch nicht einmal während der Nacht.
Goth grinste zufrieden. Es sah so aus, als ob er einen Krieg ausgelöst hatte.
Und sie brauchten ihn, diese beiden Fledermäuse. Schatten wollte, dass er mit den Führern der Silberflügelkolonie zusammentraf. Natürlich hatte Goth bereitwillig zugestimmt, er wusste ja, dass er dann längst weit weg wäre. Wenn er erst einmal allein nach Süden fliegen konnte, würde er mit Sicherheit nicht die Hilfe einer lausigen Ältesten der Silberflügel brauchen.
Außer wenn …
Die Idee kam ihm in den Kopf geschlichen wie die Zunge einer Schlange. Außer wenn Zotz es so vorgesehen hatte, dass er mit der Kolonie der Silberflügel zusammentraf. Außer wenn ein Plan dahinter steckte, dass die Menschen ihn im Dschungel gefangen genommen hatten. Das würde Sinn ergeben. Warum hätte Zotz sonst zulassen sollen, dass die Menschen ihn nach Norden brachten, wenn er damit nicht einen Zweck verfolgte?
Der Traum. Hunderte und aberhunderte von Silberflügeln, die im Dschungel um ihn herumflogen. Und wie sind sie dort hingekommen? Sie sind dort hingekommen, sagte ihm eine innere Stimme, weil du sie dort hingebracht hast.
„Im Dschungel“, sagte Goth, „ist es niemals kalt. Die Hitze hängt in der Luft wie Regen. Die Landschaft ist üppig grün, nicht wie dieser felsige Wald unter uns, sondern es flimmert nur so vor Blüten, Pflanzen und Früchten, wie du sie noch nie gesehen hast. Und die Insekten dort sind so saftig – drei oder vier würden dich für eine ganze Nacht satt machen.“
Schatten hörte hingerissen zu, während sie durch die kalte Luft flogen. Es waren nicht die Käfer, die Goth beschrieb, sondern es war die Wärme, die ihm das Wasser im Munde zusammenlaufen ließ. An diesem Abend war er aufgewacht und erschrocken darüber gewesen, dass ein feiner frostiger Überzug die äußersten Spitzen seiner Flügel bedeckte, und er hatte ihn ängstlich abgeklopft.
Dies war die dritte Nacht, in der sie mit Goth und Throbb zusammen flogen, und sie richteten ihren Kurs immer noch nach dem Stern von der Kathedrale aus. Schatten fragte sich, wie lange es noch dauern würde, bis sie die anderen Silberflügel einholten. Die ganze Welt war mit Reif überzogen, die nackten Äste der Bäume glitzerten wie Silber. Die Geräusche von Insekten waren während der vergangenen Nächte leiser geworden und die Jagd wurde immer schwieriger. Außerdem zeigten sich jetzt in der Nacht zunehmend weniger Lebewesen. Von Zeit zu Zeit hatte er gewaltige Vogelschwärme in der Ferne entdeckt, die auf ihrer eigenen Wanderung nach Süden waren. Bislang hatte es aber noch kein Anzeichen von einer anderen Kolonie Fledermäuse gegeben, und das beunruhigte ihn.
„Dort drüben ist ein geschützter Sims“, sagte Marina und zeigte auf einen felsigen Abhang. „Wir werden da wahrscheinlich einen Schlafplatz finden, und dann haben wir noch etwa eine Stunde zum Essen.“
Schatten schauderte und blickte nach Osten. Er wollte ungern anhalten, hatte dauernd das Gefühl Zeit zu verlieren. Aber wenigstens bedeutete das Nahen der Sonne, dass es bald ein wenig wärmer würde. Die Ohren taten ihm weh und seine Füße waren wie abgestorben.
„Wie viele Fledermäuse sind in deiner Kolonie?“, fragte er Goth, als sie über dem Sims kreisten und nach einem Rastplatz Ausschau hielten.
„Millionen.“
Millionen. Es war schwer genug sich zwei Riesenfledermäuse vorzustellen, ganz zu schweigen Millionen.
„Wahrscheinlich fliegt nicht viel am Himmel, wovor ihr euch fürchten müsst“, sagte Schatten neiderfüllt.
„Nichts“, sagte Goth. „Geier und Habicht sind die einzigen wirklich starken Vögel, aber auch die wagen es nicht uns anzugreifen.“
Schatten fragte sich, wie das wohl wäre, keine Angst zu haben. Er würde es nie wissen. Er war ein Knirps. Fast alles am Himmel war größer als er. Aber wenn er Goth und Throbb überzeugen konnte, sich mit ihnen zu verbünden … vielleicht wäre das was.
Er hatte sich den Kopf zermartert, wie er sie fragen sollte, und die ganze Idee schon mehr als einmal aufgegeben. Was wusste er schon? Wer war er denn, um diese Riesenfledermäuse aufzufordern, sich an ihrem Kampf zu beteiligen.
Vielleicht sollte er alles Frieda und den anderen Ältesten überlassen.
Marina fand einen Tunnel in der Felswand, groß genug, dass Goth und Throbb hineinpassten. Drinnen war es trocken und windgeschützt und eng genug, dass sie mit ihrer Körpertemperatur die Höhle bald aufwärmen
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