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Silberflügel: Roman (German Edition)

Silberflügel: Roman (German Edition)

Titel: Silberflügel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Deck lag Schatten geduckt auf allen vieren und zitterte, neben ihm Marina. Bei beiden stand eine Ratte als Wächter. Mit scharfen Zähnen hielten sie leicht ihre Flügel fest für den Fall, dass sie versuchen sollten sich loszureißen und wegzufliegen.
    „Was starrst du so?“, knurrte einer der Wächter Schatten an.
    Dieser blickte weg. Er hatte die Ratten betrachtet und war beeindruckt davon, wie ähnlich sie ihm in körperlicher Hinsicht waren. Ihm war das noch nie aufgefallen. Allerdings war er Ratten auch noch nie so nahe gekommen. Natürlich waren sie größer. Aber wenn man sie sich mit Flügeln vorstellte …
    „Fledermausspione“, sagte der oberste Wächter mit Abscheu in der Stimme.
    „Wir sind keine Spione“, sagte Schatten müde noch einmal.
    „Erzähl das dem Fürsten.“ Und der Wächter lachte unangenehm und amüsierte sich über irgendeinen geheimen Witz.
    Während sie die Wasserwege entlangglitten, kamen sie an mehr und mehr Ratten am Ufer vorbei, deren Augen in der Dunkelheit blitzten. Menschlicher Abfall trieb im Wasser. Schatten sehnte sich danach wegzufliegen. Am Ende des Tunnels konnte er eine bewegte Menge erkennen: Ratten, hunderte von ihnen. Weiter hinten war eine Art großes Gebäude. Das Wasser war jetzt seichter, und Schatten bemerkte, dass die Ratten neben dem Floß nicht mehr schwammen, sondern auf allen vieren auf dem Boden entlangkrabbelten.
    Der Tunnel weitete sich zu einem viel größeren Raum. Hohe Steinwände troffen von Schlamm, der aus dutzenden von Rosten herabsickerte. Ratten standen gebückt an jeder Öffnung und blickten auf sie herab. Jeder Fleck schien von Ratten besetzt. Selbst am Boden suhlten sie sich im Schlamm.
    Das Floß gelangte mit einem mahlenden Geräusch zum Ufer.
    „Bewegt euch!“, bellten die Wächter Schatten und Marina an. Ihre Zähne schlossen sich fester um die Flügel.
    Mit Mühe ging Schatten durch den Matsch. Ein Schwarm von Ratten teilte sich, um sie durchzulassen. Vor ihrem Geruch zuckte Schatten zurück, sein Magen krampfte sich vor Abscheu zusammen. Er stolperte. Fledermäuse waren nicht dazu gemacht, auf allen vieren zu laufen. Die Menge johlte. Hungrig knirschten sie mit den Zähnen, ein furchtbares Geräusch wie beim Knochenschaben, von dem sich Schatten das Fell sträubte. Er schaute zu Marina hin, die dreckbespritzt ihre Krallen aus dem saugenden Matsch zog.
    Sie näherten sich einer Art Rattenpalast. Er war aus Abfall erbaut, aus zusammengedrückten Kartons, verbogenem Plastik und zerknittertem glänzendem Papier. Auf einer breiten Plattform hoch über dem Matsch fletzte sich die größte Ratte von allen. Fettröllchen quollen auf beiden Seiten des umfangreichen Bauches hervor. Und wenn er seine Zähne zeigte, sah man, dass sie lang waren, Rillen hatten und von alter Nahrung fleckig waren.
    „Sie knieen nicht“, sagte er zu den Wächtern.
    „Auf die Knie vor dem Fürst!“, rief der Anführer und schlug ihre Köpfe nach unten.
    „Wisst ihr, wer ich bin?“, fragte die fette Ratte.
    „Der Fürst?“, versuchte es Marina nach einer Pause.
    „Wächter!“, befahl der Fürst, und die Ratte an Marinas Seite biss ihr in die Flügelkante. Sie schrie auf.
    „Unverschämtheiten werde ich an meinem Hof nicht dulden“, sagte der Fürst. Er wandte sich an den Anführer der Wächter. „Wie sind sie hereingekommen?“
    „Am entfernten Nordtor, Fürst Remus.“
    „Und warum wurde das nicht bewacht? Wer hatte Dienst?“
    „Croll, Eure Hoheit.“
    „Er soll sofort entlassen werden.“
    „Er ist verschwunden, Eure Hoheit.“
    „Ich werde das nicht dulden. Wächter müssen zu jeder Zeit auf ihrem Posten ausharren. Habt ihr gehört? Wir müssen jederzeit auf der Hut sein!“
    Er wandte seine nervös blickenden Augen wieder Schatten und Marina zu.
    „Ihr seid Spione, nicht wahr?“
    „Nein“, sagte Schatten.
    „Ausgesandt, um Informationen für einen Überraschungsangriff zu sammeln.“
    Schatten schüttelte erneut den Kopf.
    „Wie kannst du es wagen!“, bellte der Fürst. „Wie kannst du es wagen, dich über mich lustig zu machen!“
    Der Wächter neben Schatten knirschte drohend mit den Zähnen.
    „Ihr denkt wohl, weil mein Königreich hinter einem Berg liegt, wäre ich von allem abgeschnitten?“ Seine Brust bebte vor Zorn. „Ihr glaubt wohl, ich weiß nicht, was auf der Erde vor sich geht? Ich weiß, ihr habt euch mit den Vögeln verbündet!“
    Schatten blickte Marina beunruhigt an. Wovon redete er nur?
    „Ja, es stimmt“,

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