Silberhuf
Fußgelenke berührten sich fast. Wie im Zeitlupentempo zog Vater die andere Schlinge zu, und der Mönch war gefesselt. Vater grinste mich an, aber der Schweiß lief ihm übers Gesicht.
Bei den nächsten beiden ging es einfacher, weil ihre Fußgelenke nebeneinanderlagen. Aber gerade, als Vater sich den vierten vorknöpfen wollte, stieß der Mönch einen Schnarcher aus und versuchte sich aufzusetzen. Wir standen da wie angefroren, mit unseren Köpfen so gewendet, daß wir ihn sehen konnten. Wir standen beide genau zwischen ihm und dem von der Sonne erleuchteten Eingang. Aber er muß gedacht haben,er träume, denn er schloß seine Augen sofort wieder und ließ sich in eine bequemere Stellung zurückfallen.
„Wenn die Medizin stark genug ist, ihn fertigzumachen“, sagte mein Vater, „glaub ich nicht, daß wir mit den anderen Ärger haben.“
Vater arbeitete jetzt schneller und sicherer. Und abgesehen von einem Seufzer, einem Grunzer oder einem Kauen ihrer Kinnbacken, schnarchten und schliefen die Banditen weiter, bis Vater sie alle in Reih und Glied, die Handgelenke mit den Fußgelenken verknotet, fest zusammengebunden hatte.
Als er den letzten Knoten geknüpft hatte und sich aufrichtete, sicherte ich mein Gewehr. Ich fühlte mich genauso erleichtert und erschöpft wie er, so als ob ich ganze Arbeit geleistet hätte.
Dann schlichen wir dorthin zurück, wo Silberhuf im Dunkeln stand. Ich schlang meine Arme um seinen bronzenen Widerrist.
„Silberhuf“, sagte ich, „du weißt ja gar nicht, wie glücklich ich bin, dich wiederzusehen.“ Und Vater fragte: „Was machen deine Batterien?“
„Sehr schwach, Mike“, flüsterte Silberhuf mit ziemlich matter Stimme. „Ich kann, fürchte ich, keinen einzigen Schritt mehr gehen.“
Es dauerte ziemlich lange, Silberhuf herauszubefördern. Wir mußten ihm helfen, jedes Bein hochzuheben, und langsam wankte er heraus in das helle Sonnenlicht, wie ein Invalide. Und dann stand er da, wie ertränkt im Licht, das die Tausenden schimmernden Zellen des Energieumwandlers aufnahmen. „Jetzt wird kein Wort mehr gesprochen“, sagte Vater, streng wie ein Doktor, „mach deine Augen zu, und in vier oder fünf Stunden bist du wieder fit.“
Aber Silberhuf, matt wie er war, hatte uns etwas Wichtiges mitzuteilen.
„Hinten . . . der . . . Höhle . . . großer Felsen . . . blicke dahinter.“
Dann schloß er die Augen.
Wir eilten an den schlafenden Banditen vorbei, über die Stelle hinaus, wo Silberhuf gestanden hatte. Die Decke der Höhle fiel schräg ab, und wir mußten uns ducken. Dann kam der große Felsen, so wie Silberhuf gesagt hatte. Es war gerade genug Platz, um dahinterzukriechen. Um weiter zu kommen, mußten wir auf allen vieren krauchen, aber nach ein paar Metern wurde die Decke wieder etwas höher. Wir waren in einer anderen Höhle. Vater leuchtete mit der Taschenlampe ringsherum und stieß auf ein schwarzes Bündel — eine yakwollene Decke, zu einem Sack zusammengebunden. Es klimperte, als Vater das Bündel anstupste. Schätze! jagte es durch meinen Kopf. Aber um eine neue Enttäuschung zu vermeiden, verwarf ich den Gedanken sofort wieder. Wir zerrten das Bündel nach draußen in den Sonnenschein. Was kann da schon drin sein, sagte ich mir, höchstens ein paar unbrauchbare Sachen aus Metall und sonstiges Zeugs, das sie nach ihren Raubzügen weggeschmissen hatten — wertloser Plunder.
Als Vater die Ecken der Decke zurückschlug, stieß er einen merkwürdigen Laut aus, so was wie eine Mischung zwischen einem Pfiff und einem „Puh“. Aus dem Haufen schossen blendende, vom Sonnenlicht entzündete Flammen — gelbe vom Gold und rote, grüne und weiße von den Steinen. Zwischen den leuchtenden, blitzenden Farben war auch der stumpfe Glanz von angelaufenem Silber, und das, was aussah wie Lederbeutel, waren kleine Stücke von grob geschmolzenem Metall.
„Sind das echte Schätze?“ hörte ich mich selbst flüstern.
„Kneif mich mal, Jack“, sagte Vater. „Ich glaube, wir träumen.“
Er stocherte in dem Metallhaufen herum, drehte das Unterste zuoberst und las eine Goldmünze auf. Es war ein englisches, goldenes Zwanzigschillingstück, mit dem Kopf der Königin Victoria.
Er warf es hoch in den Sonnenschein und fing es wieder auf. Vater sagte: „Englische Münzen aus der Zeit der Königin Victoria besaßen eine Art heilige Bedeutung unter den Lamaisten. Sie glaubten, daß die Königin Victoria eine Inkarnation der schutzspendenden Göttin Palden Lhamo war und
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