Silberhuf
auf und entfachte ein ausgegangenes Yakdungfeuer zu neuem Leben. Sobald es richtig brannte, stellte er einen Kessel auf das Feuer und ging wie gewöhnlich daran, all die Handbewegungen zu tun, die nötig sind, um Buttertee zu bereiten. Nachdem das Wasser gekocht hatte, ging er zur Felswand, wo ein Teefaß lehnte. Das gehört zur Standardausrüstung aller Reisenden im Himalaja, und man begegnet niemals einer Reitergruppe, von denen nicht einer ein Teefaß, quer über den Rücken geschnallt, mit sich trägt. So ein Teefaß, ein Zylinder aus Holz oder aus Bambus, ist etwa sechzig Zentimeter lang, mit einem Durchmesser von zehn Zentimetern. Oben ist es offen, und innen sitzt an einer Stange ein passender Kolben mit Löchern drin, wie in einem Kartoffelquetscher. Um Buttertee zu bereiten, kocht man zu harten Ziegeln gepreßten Tee, sehr stark, mit etwas Salz und Natron. Dann wirft man ein großes Stück ranzige Butter dazu, und sobald es kocht, gießt man das Ganze in das Teefaß. Nachein paar Stößen mit dem Kolben ist der Tee gründlich gemischt, so daß die Butter nicht mehr oben schwimmt. Für europäische Ohren mag das gräßlich klingen, aber wenn man sich erst einmal dran gewöhnt hat, ist es ein herrliches Getränk. Besonders, um einen in den Höhenlagen frisch und munter zu halten. Man trinkt es überall im Himalaja, in Tibet, in Yunnan und in Szechuan.
„Das Teefaß bringt mich auf eine Idee“, sagte Vater, „gib mir mal den Leinenbeutel mit den Medikamenten her.“
Wir rutschten ein Stück runter, so daß wir unterhalb der Horizontlinie saßen. Und dort fing er an, den Inhalt bestimmter Flaschen auszuzählen.
„Ein bißchen Chloralhydrat, eine ganz hübsche Menge Barbitursäure und achtzig Tabletten Morphium, das ein närrischer Doktor mir einmal gab, als Kur gegen Dysenterie. Geteilt durch fünf . . . ja, es reicht, würde ich sagen.“
„Aber“, sagte ich, als Vaters ausgeklügelter Plan bei mir zu dämmern anfing. „Du willst doch nicht etwa damit sagen, daß wir da unten runtergehen und die Tabletten in die Teetonne hineinschmuggeln müssen?“
„Nicht wir, ich.“
„Aber was wird, wenn sie dich hören?“
„Hast du vielleicht eine bessere Idee, Jack? Es ist nicht gerade ratsam, da hinunterzugehen und zu sagen: Guten Tag, liebe Banditen. Verzeihung, aber das Pferd gehört uns.“
Je mehr ich darüber nachdachte, um so mehr gefiel mir die Idee — abgesehen von dem Risiko. Und es war klar, wir mußten irgend etwas Ungeheuerliches tun, um Silberhuf zu befreien.
Wir schliefen unter einem großen Felsbrocken im warmen Sand, und sobald der Mond aufgegangen war, weckte Vatermich. Es dauerte ziemlich lange, ringsherum zu schleichen, um eine geschützte Stelle in der Nähe des Höhleneinganges zu finden. Wir mußten ganz nahe herankriechen, um bei Mondlicht in den dunklen Eingang hineinsehen zu können. Es herrschte Totenstille. Nur das Grasen der Pferde und hin und wieder das Geklirr der Zaumzeuge waren zu hören. Unser Plan sah vor, daß Vater zur Höhle kroch und die Tabletten in die Tonne kippte, während ich ihm Deckung gab. Er klopfte mir auf die Schulter und begann über das Gras zu krauchen, sehr langsam und leise.
Ich hörte ein Geräusch, und im selben Augenblick hielt Vater wie erstarrt an. Aus dem Höhleneingang trat eine Gestalt heraus, eingehüllt in ein Schaffell, den Pelz nach außen, und blieb im Mondlicht stehen. Wenn sie einen Posten aufgestellt hatten, war unser ganzer Plan verpfuscht. Mit dem Finger am Abzug, verteidigungsbereit, behielt ich ihn im Visier meines Gewehrs, während er dastand und sich umblickte, genau so, wie es ein Posten tun würde. Dann kam er weiter heraus, und man konnte sehen, daß er besoffen war und taumelte. Er torkelte hin und her und brauchte wenigstens ein paar Schritte, bis er sich wieder gefangen hatte. Dann blieb er so dicht vor der Stelle stehen, wo Vater im Schatten des Felsens lag, daß er ihn entdecken mußte. Aber es war kein Posten. Der Kerl blieb stehen, schwankte hin und her, während er seine Notdurft verrichtete, und taumelte zurück zur Höhle. Ich beobachtete, wie Vater ein kleines Stück zurückkroch und hinter dem Felsen abwartete, ob die anderen womöglich dasselbe tun würden. Es schienen Stunden zu vergehen, jetzt war ich an der Reihe, denn eines der grasenden Pferde kam direkt auf mich zu, so nahe, daß ich hörte, wie es das Gras mit den Zähnen abriß und kaute. Während ich überlegte, ob ich das Pferd mit meinemGewehr
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