Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
Vom Netzwerk:
sich gegen die Tür. Nur eine Glasscherbe fiel in das Waschbecken, die übrigen Stücke reflektierten besitzerlose, monströse Formen, blieben jedoch an ihrem Platz. Mit einem verächtlichen Grunzen stieß mich die Kreatur aus dem Körper, so dass ich durch die Wand und in einen Ständer voller Kleider vor der Toilette flog. Meine Angst ließ die Kleiderbügel sachte schaukeln. Ich sah aus einem Haufen Baumwollnachthemden auf und beobachtete James, wie er überrascht zurücktrat, als sich die Tür zur Toilette öffnete und die Frau in der Kapuzenjacke mit blutiger Hand heraustrat. Während sie das Geschäft verließ, sah sie sich immer wieder nach ihm um. Bereit zum Kampf.
    Ich schwebte an James’ Seite, doch die Erleichterung auf seinem Gesicht konnte meine Panik nicht mildern.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte er. Ich folgte ihm in eine Ecke hinter einem Schuhregal. »Ich dachte, sie würde leer klingen.« Er schnappte nach Luft. »Die vielen Apparaturen hier drin haben mich verwirrt. Es wird nicht wieder vorkommen. Es tut mir so leid.« Er sah mir in die Augen. »War etwas in ihr?«
    »Etwas Dunkles.«
    »Geht es dir gut?«
    »Ja.« Es war unschwer zu erkennen, dass ich log. Ich zitterte immer noch am ganzen Körper. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als mit ihm allein zu sein. Weit weg von allem.
    Endlich verließen wir den Laden und gingen durch die Mall auf den Eingang zu. Ohne Vorwarnung blieb James stehen, so dass ein händchenhaltendes Pärchen voneinander ablassen und um ihn herumgehen musste. Er trat ein paar Schritte zur Seite, neben eine große Topfpflanze.
    »Sieh da«, flüsterte er. »Das Mädchen auf der Bank, in Gelb.«
    Ich folgte seinem Blick und sah eine ungefähr Fünfzehnjährige, die ein gelbes Leinenkleid und braune Schuhe trug. Sie hielt eine kleine braune Tasche in ihrem Schoß und blickte zu Boden.
    »Sie ist leer«, flüsterte er.
    Das Mädchen, dessen schönes blondes Haar sorgfältig gekämmt war und bis auf die Schultern herabhing, wirkte vertraut.
    »Sie geht auf Billys Schule«, flüsterte James. »Sie heißt Julie oder Judy oder so ähnlich.«
    Dann hörte ich es. Ein leises Geräusch, wie ein Finger, der über den Rand eines Glases fährt. Es kam von dem Mädchen. Zwei Frauen gingen an ihr vorbei, ihre Einkaufstaschen schlugen gegen ihr Knie, doch sie blinzelte nicht einmal.
    »Dir wird nichts passieren«, wisperte er. »Ich verspreche es.«
    Ich hatte Angst, mich noch einmal von ihm zu entfernen. »Bleib bei mir«, bat ich. »So lange wie möglich.«
    Langsam wie eine Schnecke bewegte ich mich auf das Mädchen zu und blieb ein paar Meter vor ihr stehen. Sie atmete flach, die Augen blicklos auf ihre Füße gerichtet. Ich setzte mich neben sie. James beobachtete uns aus seinem Versteck neben der Pflanze. Die ganze Zeit über hatte ich mich gefragt, ob es mir gelingen würde, die nachlässige Haltung der heutigen Frauen korrekt zu imitieren, aber dieses Mädchen hielt sich vorbildlich, fast, als trüge sie ein Korsett.
    »Jenny!« Eine schlanke Frau in einem grauen Kostüm und Highheels kam auf das Mädchen zu. »Gehen wir, Liebling.« Jenny blickte auf, lächelte mechanisch und erhob sich geschmeidig wie Rauch von der Bank.
    Ich griff nach ihrem Arm. Wieder überkam mich eine völlig neue Empfindung, anders als bei Mr. Brown oder James und auch anders als bei der dunklen Frau. Ich spürte Kälte, ein Nadelkissen aus Eis. Als sich Jenny in Bewegung setzte, wurde ich mitgezogen. Ratsuchend sah ich mich nach James um. Er nickte mir aufmunternd zu, so dass ich mich weiter an Jenny klammerte, als sie mit ihrer Mutter auf den Parkplatz des Einkaufszentrums ging.
    »Ich habe einen schönen Gewinn für die Kirchenlotterie aufgetrieben«, sagte die Frau. »Einen Bibelatlas.«
    »Das klingt toll, Mom.« Die Leblosigkeit in Jennys Stimme ließ mich frösteln.
    »Dein Vater holt den Kuchen. Wir sollten schnell nach Hause fahren und uns umziehen. Um vier müssen wir im Park sein, und es ist schon nach halb vier.«
    Jennys Mutter drückte auf einen Knopf in ihrer Tasche, woraufhin die Lichter eines kastanienbraunen Wagens aufleuchteten. Auf der hinteren Stoßstange klebten ein Fischsymbol und ein kleiner Aufkleber mit dem Schriftzug »Abtreibung ist Mord«. Sie wollten gerade einsteigen, als James winkend auf seinem Fahrrad vorbeirollte: »Hallo, Jenny!«
    Überrascht drehten sich die beiden um. Jennys Mutter beobachtete James, wie er zwischen den Autoreihen verschwand. »War das ein Junge

Weitere Kostenlose Bücher