Silberlicht
senkte, sagte er lachend: »Ladys, nun erklärt uns Männern mal, wie das hier funktionieren soll.«
Während die Frau mit der Glocke erläuterte, von welcher Seite man sich am Büfett anzustellen habe, eilte ein Mann in einem grünen Poloshirt und mit einer rosafarbenen Schachtel im Arm herbei. Jennys Mutter blickte ihm stirnrunzelnd entgegen.
»Wo bist du gewesen?«, fragte sie anklagend. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Oh, das war meine Schuld, ich hatte vergessen, den Van vollzutanken, und musste dann ein ganzes Stück laufen, um Benzin zu holen.«
Cathy lachte unsicher, duldete jedoch den Kuss, den er ihr auf die Wange drückte.
»Hallo, Püppchen«, begrüßte er Jenny und ging dann rasch mit der Schachtel zum Büfett.
»Hallo, Daddy«, erwiderte sie und bemerkte nicht, dass er sie schon nicht mehr hörte.
Ich beobachtete Jenny, wie sie sich aus jeder Schüssel eine kleine Portion auf den Teller lud und dann lächelnd und nickend dem Jungen zuhörte, der sich neben ihr niedergelassen hatte. Sie aß sehr wenig und tupfte ihren Mund nach jedem Bissen mit einer Papierserviette ab, sorgfältig wie eine Ballerina, die ihre Kunst an der Stange übt.
Nachdem sie den Müll beseitigt hatten, ließ der Pastor Holzbänke, Gartenstühle und Decken auf die Wiese bringen und in einem großen Kreis aufstellen. Die Schatten über dem Park wurden langsam länger. Als sie alle versammelt saßen, erzählte er die Geschichte von Daniel, der die Nacht in der stockfinsteren Löwengrube überlebt hat.
Ich stand hinter Jenny. Ihre Haltung war tadellos, doch sie hielt den Kopf gesenkt, als verharre sie in einem Gebet. Sie saß am Ende einer Bank neben ihrer Mutter, ihr Vater zu Füßen seiner Frau auf einem Handtuch. Neben Jenny lag ein kleiner Junge auf der Wiese mit dem Kopf im Schoß seiner Mutter. Während sie ihm sanft übers Haar strich, entglitt er langsam in einen tiefen Schlaf.
»Und wir haben den Glauben von Daniel«, beendete Pastor Bob seinen Vortrag. »Nicht wahr? Weil wir wissen, dass Gott die Münder unserer Feinde verschließen wird. Wenn wir Seinem Willen gehorchen, können wir darauf vertrauen, dass Er uns beschützt.«
Einige Zuhörer antworteten leise: »Amen.«
»Lasst uns beten.«
Jenny machte die Augen zu und faltete die Hände. In diesem Moment wusste ich, dass ich nicht länger warten konnte. Ich stieg über das schlafende Kind und setzte mich dorthin, wo Jenny saß. Der Klang vibrierenden Glases umtoste mich, es fühlte sich an, als würde ich in kalten Marmor gepresst. Ich hielt durch, auch als ich am ganzen Körper zu zittern begann. In Gedanken versuchte ich mir James vorzustellen, wie er mich anlächelte. Mit einem ploppenden Geräusch verstummte das Klingeln, und ich kam mir vor wie eine Eisskulptur, die drauf und dran war, auseinanderzubrechen. Dann geschah es. Ich spürte meine Gestalt in ihren Fingern, Schultern und Knien. Ich fühlte sogar die bequemen Schuhe und den Unterschied zwischen ihren warmen Armen unter dem Pullover und den kühlen Beinen, die der Abendluft ausgesetzt waren. Eine Strähne von Jennys Haar kitzelte meine Wange. Ich schlug die Hand vor den Mund, als ich mich vor Verblüffung aufschreien hörte. Als ich die Augen wieder öffnete, waren alle Gesichter mir zugewandt. Der Boden kam mir entgegen. Und es wurde dunkel.
»Gebt mir die Decke.«
Ich vernahm aufgeregtes Stimmengewirr. Wann immer die Gesichter über mir eine Lücke für den Sonnenschein freigaben, erschienen rosafarbene Blitze vor meinen Augen.
Meinen Augen.
Ich öffnete sie und sah einen Kreis aus Köpfen, der besorgt zu mir herabblickte.
»Es geschah während des Gebets«, flüsterte jemand.
»Vielleicht war es der Heilige Geist«, vermutete ein anderer.
»Sie hat nur nicht genug gegessen«, sagte Jennys Vater. Er packte mich unter Knien und Armen und hob mich vom Boden auf. »Machen wir kein großes Aufhebens darum.«
Die viele Aufmerksamkeit hatte mich derart überwältigt, dass ich nicht sprechen konnte. Die starken Arme von Jennys Vater, der Stoff seines Hemdes, den ich auf meiner Haut spürte … Ich zitterte immer noch.
»O Liebling«, sagte Jennys Mutter besorgt.
Ihr Mann setzte mich auf eine der Bänke bei den Picknicktischen. Ich fing zu weinen an, schluchzte echte Tränen in meine Hände, das Salz eines vergessenen Meeres.
»Vielleicht hatte sie eine Vision«, vermutete jemand.
»Sie ist nur verlegen«, sagte Jennys Mutter und strich sich unruhig durchs Haar. »Bitte geht wieder zum
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