Silberlicht
konnte, würde ich vielleicht zurück in die Hölle fallen. Sie könnte das Letzte sein, was ich zu Gesicht bekam, bevor ich in einer Ewigkeit aus Schmerz versinken würde.
Ich saß neben ihr, berührte ihre Hand, die zarten, gebräunten Finger auf dem Bett aus weißen Spitzen. Sie ist wirklich leer, dachte ich. Ich fühlte kein Fallen, nicht die Hitze der Gefahr, nur absolute Stille, als ob ich eine Statue berührte. Ich zuckte zurück, doch sie legte sich so widerstandslos auf den Rücken, als würde sie sich darbieten. Also legte ich mich auf ihren kalten Körper. Sie schien vollkommen hohl, doch noch immer konnte ich nicht sicher sein, dass sich nichts Böses in ihr verbarg. Unkontrolliert begann ich zu zittern, so stark, dass ich wieder aus ihr heraussprang. Sie atmete tief durch und setzte sich auf.
»Fünf Minuten!«, rief ihre Mutter von unten.
Jenny stand auf und ging zu ihrem Frisiertisch, auf dem ich kein Parfüm oder Make-up entdecken konnte, nur eine Bürste, einen Kamm und eine weiße Bibel. Sie nahm die Bürste, zog sie sich langsam durchs Haar und strich die Wellen mit der freien Hand nach jedem Strich glatt. Dann zupfte sie ein paar goldene Strähnen aus den Borsten und warf sie in den weißen Weidenabfallkorb. Die Bürste legte sie ordentlich auf den Tisch zurück.
Ich folgte ihr in das Badezimmer, dessen Tür zum Flur hin offen stand, und sah ihr zu, wie sie sich die Zähne mit einer rosafarbenen Zahnbürste putzte.
Tu es, befahl ich mir. Doch ich konnte es nicht.
»Vergiss nicht den Fotoapparat!«, rief Jenny nach draußen, während sie die Zahnbürste abspülte und durch den Spiegel ins Leere blickte.
»Danke!« Jennys Mutter erschien in der Tür. »Auf geht’s.«
Jennys Mund verzog sich zu einem Lächeln, doch ihre Augen wirkten leblos.
»Du siehst sehr hübsch aus, Liebling«, sagte Jennys Mutter, als sie im Auto saßen.
»Danke«, erwiderte ihre Tochter. »Du siehst auch sehr schön aus.« Ihre Mutter hatte sich ein Baumwollkleid mit passendem Strickjäckchen angezogen, doch ich hatte nicht den Eindruck, dass Jenny auch nur einen Blick daraufgeworfen hatte. Ich saß auf dem Rücksitz und fühlte mich wie ein Feigling.
»Hat Brad Smith gefragt, ob du dich mit ihm verabreden willst?«, fragte ihre Mutter.
»Nein«, antwortete Jenny.
»Er ist bestimmt nur schüchtern. Ich glaube, er wird dich noch fragen, seine Mutter hat schon mit mir darüber geredet.«
Sie bogen auf den Parkplatz einer großen Grünanlage ein, auf dem bereits an die fünfzig Wagen standen. Eine riesige Pergola überragte die Picknicktische, die in drei Reihen hintereinander aufgestellt und mit dünnem Plastik überzogen waren. Die Tische waren mit Schüsseln in allen Formen und Größen vollgestellt. Wie in einem Sarg lagen die Lebensmittel unter glänzender Alufolie begraben.
Eine der Frauen kam auf Jennys Mutter zu und fragte: »Cathy, wo ist Dan?«
»Er hat nur schnell den Kuchen geholt. Eigentlich müsste er längst hier sein. Bist du sicher, dass er nicht schon mit den anderen beim Softballspielen ist?«
Jenny ging zu dem ersten Tisch, an dem eine Frau ihrem Baby das Fläschchen gab.
»Hallo, Jenny«, sagte die Frau.
»Hallo.« Jenny blinzelte das Baby an. »Hallo, Randy.«
Ich folgte Jenny zu einer Wiese, auf der ein paar Leute auf Decken und Gartenstühlen saßen und die Spieler auf dem provisorischen Spielfeld anfeuerten. Ein Mann, der als einziger einen Anzug trug, war mit Schlagen an der Reihe. Jemand rief: »Los, zeigen Sie’s ihnen, Pastor Bob.« Jenny klatschte verhalten in die Hände und starrte in den Himmel. Sie bekam nicht mit, wie Pastor Bob den Ball ins Feld schlug und der Mann auf der zweiten Base ihn fing. Ich wollte sie noch einmal berühren, doch es waren zu viele Leute um uns herum.
Pappteller und Schachteln mit Plastikgabeln wurden bereitgestellt. Als eine grauhaarige Frau mit einer roten Baseballkappe eine Glocke läutete, strömten die Leute zu den Picknicktischen, doch noch setzte sich keiner. Der etwas verschwitzte Pastor hielt lächelnd eine Hand in die Höhe, die Anwesenden schlossen die Augen. Stille breitete sich aus; nur ein Baby weinte.
»O Herr«, deklamierte der Pastor. »Wir danken Dir für Deine vielen Gaben. Segne dieses Essen, das Du uns bescheret hast. Beschütze die Mitglieder Deiner Herde, die heute nicht bei uns sein können. Im Namen von Jesus Christus, Amen.« Vielstimmig klang das Amen nach, auch Jenny sprach es laut aus. Als der Pastor seinen Arm
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