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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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sein. »Was soll ich tun, wenn sie von etwas Bösem beherrscht wird, das sich nicht vor mir fürchtet?«
    »Sie nimmt keine Drogen.« James hielt inne, als die Frau an einer Weggabelung kurz innehielt. »Es wäre nicht wie bei Billy. Sie ist eine Sportlerin – sie achtet auf ihren Körper.«
    Die Frau wandte sich nach links, und wir folgten ihr in ein Geschäft, wo sie sich schnurstracks auf die hintere Wand zubewegte und eine mit »Damen« überschriebene Tür öffnete. James drehte sich um und gab vor, sich das Preisschild eines Bademantels anzusehen. Die leere Frau war allein.
    »Ich bleibe hier«, sagte James.
    Obwohl mich eine innere Stimme davon abhalten wollte, folgte ich der Frau, die soeben die Toilettentür hinter sich schloss. Ich fand mich in einem winzigen Raum wieder, mit einer Toilette und einem Waschbecken, einem Metallmülleimer und einem Warnhinweis an potenzielle Ladendiebe.
    Die Frau betrachtete sich im Spiegel, als habe sie vergessen, warum sie hier sei. Sie hatte einen athletischen Körper, doch ihr Gesicht sah alles andere als gesund aus. Es war blass, mit dunklen Schatten unter den Augen, durchzogen von kleinen Narben, als wäre sie von einer Katze attackiert worden. Ob ich hinter diese Lippen passen und sie wieder zum Lachen bringen könnte?
    Da James nur ein paar Meter vor der Tür stand, musste ich die Frau nicht festhalten, doch bald wäre meine Chance vorüber, mit ihr allein zu sein. Obwohl ich mich immer noch fürchtete, stellte ich mich neben sie vor den Spiegel und berührte ihre linke Hand, die auf dem Rand des Waschbeckens ruhte.
    Es fühlte sich ganz anders an als der Hautkontakt mit Mr. Brown oder James. Ihr Fleisch strahlte eine kribbelnde Hitze aus, wie eingefrorene Zehen, die in einem heißen Bad wieder auftauten. Sie drehte den Wasserhahn auf, beugte sich hinab, ließ ihre Handflächen voll Wasser laufen und spülte sich den Mund aus. Dann trank sie in langen Zügen und richtete sich schließlich wieder auf. Ich rückte näher an sie heran, meine rechte Hand auf ihrer linken. Wieder sah sie in den Spiegel, ein Tropfen Wasser hing an ihrem Kinn. Ich konnte die Konturen ihrer Finger spüren, auch wenn unsere Daumen seitenverkehrt aufeinanderlagen. Ein heißes Prickeln stieg meinen Arm hinauf.
    Die Frau blickte sich in die Augen und runzelte die Stirn, als würde sie sich nicht erkennen. Als sie den linken Arm an ihren Körper presste, ließ ich meine Hand mitwandern. Ich glitt tiefer in sie hinein, mein rechtes Auge blickte durch ihr linkes in den Spiegel. Meine Lippen zitterten, als sie gegen den angespannten, dunklen Mund der Frau stießen. Ich versuchte, aus ihr herauszukommen, doch ich steckte fest. Aus dem hintersten Winkel ihres Herzens trieb eine Erinnerung vorbei – die Frau als zehnjähriges Mädchen, wie sie weinend in ein Badezimmerwaschbecken spuckte, würgte und Wasser trank, während ihre braunen Zöpfe ins Becken hingen. Bilderfetzen ihrer Hände, wie sie in ihrem dunklen Zimmer versuchte, den Türgriff festzuhalten, der sich dennoch drehte. Ihr Stiefvater, wie er stumm eine Zigarette auf der Veranda rauchte, während ihre Mutter sie ausschimpfte, weil sie wieder ins Bett genässt hatte.
    Die Erinnerungen verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Die Frau im Spiegel sah mich an, eines meiner Augen mit ihrem verschmolzen, eines noch unsichtbar. Sie erkannte mich, das merkte ich am Kräuseln ihrer Lippen. Doch es war nicht die Frau, die lächelte. Das Kind hatte den Körper verlassen, als sie noch ein Teenager war. Was mich jetzt anblickte, war alles andere als eine Frau.
    Ein Hämmern ertönte an der Tür, ein Rütteln an der Klinke. Doch das konnte dieses Fleisch nicht erschüttern. Es beherbergte eine unbesiegbare Kreatur, die sich aus einem versteckten Ort im Bauch der Frau wie eine Pfütze aus Teer erhob und mit dem Kopf einer Kobra aufrichtete.
    »Helen!«, rief James panisch durch die verschlossene Tür. »Tu es nicht!«
    Ich fühlte eine stechende Wut durch meine Finger streichen, die mich dazu bringen wollte, mein Gesicht an der Stelle, an der es mit der Frau verschmolz, blutig zu kratzen. Das erschreckte mich so sehr, dass ich abermals versuchte, mich von ihr loszureißen. Doch meine andere Hand zuckte nur hilflos durch die Luft und griff dann verzweifelt nach dem Waschbecken.
    »Helen!« James hämmerte an die Tür.
    Die Kreatur ballte ihre rechte Hand zur Faust und stieß sie mit voller Wucht in den Spiegel. Glas splitterte, und James warf

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