Silberlicht
blickt, wird Gott euch führen.«
Obwohl ich den Tränen nahe war, musste ich lachen. Abermals warf mir Cathy einen verwunderten Blick zu und nahm mir das Magazin aus der Hand.
»Vergiss nicht deine Gebete.« Sie gab mir einen Kuss auf die Wange. Sie roch nach Rosencreme, und in ihrem Haar hing ein Hauch von Zitrone. »Ich schicke deinen Vater herein.«
Sobald Cathy aus dem Raum war, sprang ich aus dem Bett und suchte nach Jennys Büchern. Selbst das banale Gedicht hatte mich unendlich fasziniert. Zu meiner Überraschung fand ich nichts. Nur auf Jennys Schreibtisch standen ein paar Bücher zwischen zwei dünnen Metallbuchstützen: Naturwissenschaften, Geschichte, Politik, Algebra,
Sei ein besserer Babysitter
und ein Bibelwörterbuch. Ich fühlte einen Stich, als hätte mir das Universum einen Streich gespielt.
Ich hörte Schritte auf dem Flur und schlüpfte rasch wieder unter die Bettdecke. Dan betrat das Zimmer und fragte lächelnd: »Geht es dir wieder besser?«
Ich nickte. Er kam zum Bett und gab mir einen Kuss auf den Kopf. Seine Haut roch nach Seife, und sein Hemd verströmte den leichten Duft von Gardenien.
[home]
Kapitel 9
I ch war viel zu aufgewühlt, um schlafen zu können, und wartete, bis Jennys Eltern zu Bett gegangen waren, um das Haus in aller Ruhe zu erforschen. In der Zwischenzeit vertrieb ich mir die Zeit mit dem Buch über amerikanische Geschichte. Mit meinen Bewahrern hatte ich über die Jahre viele Geschichtsbücher gelesen, doch an manche Begriffe hatte ich mich nie gewöhnen können, wie zum Beispiel
antebellum –
die Zeit vor dem Bürgerkrieg, der mir noch gar nicht so lange her zu sein schien. Ich stammte aus der Epoche vor dem Krieg. Wie der Begriff
ante diluvium,
der die Zeit in zwei Abschnitte teilte, vor der Sintflut und danach, beinhaltete auch
antebellum
eine zeitliche Spaltung. Ich war auf den vergangenen Seiten der Geschichte zurückgelassen worden. Doch Jennys Körper war meine Flucht in die gegenwärtige Welt.
Endlich herrschte Ruhe im Haus, und es waren nur noch die knarzenden nächtlichen Geräusche zu vernehmen, die man hörte, wenn die Menschen schliefen. Heimlich stahl ich mich durch das stille Esszimmer in die Küche. Ich wollte das Deckenlicht nicht einschalten, weshalb ich mich mit der kleinen Lampe über dem Herd begnügte. Eine Schale mit grünen Birnen stand auf der Anrichte, wie eine Opferdarbietung auf einem Altar. Ich nahm eine der Birnen und biss hinein. Sofort war ich so berauscht, dass ich mich setzen musste. Ich warf einen Blick in die Schränke und fand ein Plastikgefäß mit Country-Fair-Erdnussbutter. Ich öffnete es, roch daran und lachte laut auf. Aus einer der Schubladen nahm ich einen Löffel und tunkte ihn hinein. Die zarte Creme war noch köstlicher als die Grapefruitbowle.
Als Nächstes untersuchte ich den Kühlschrank. Ich roch an einem Stück Brot, das in eine Folie gewickelt war, und drückte eine Ecke der seltsamen Verpackung ein. Die silbrige Haut war dünn, fast gewichtlos. Die ganze Küche erstrahlte in sorgfältiger Sauberkeit. Außer den Birnen hatte man alle Lebensmittel weggeschlossen: Gemüse in Dosen, Sauce in Gläser, Reis in einen Kunststoffbehälter. Ich vermisste die metallenen Hängekörbe aus der Speisekammer von Mr. Brown. Ich erinnerte mich an die Küche meiner Kindheit, aus der das Essen nicht wegzudenken war. Der Kessel, der über der dunklen Feuerstelle hing, hatte immer nach Suppe gerochen. Die Baumwollsäcke voller Bohnen und Kartoffeln durften dieselbe Luft atmen.
Cathys Küche schien Essen mit Argwohn zu behandeln. Selbst Billys Unordnung war mir lieber als dieser seltsame Raum. Zumindest hätte bei den Blakes eine Maus für ein paar Nächte überleben können.
Mein Spiegelbild im getönten Glas der Ofentür erschreckte mich. Für einen Moment hatte ich mich nicht erkannt, weil mir Jennys Gesicht entgegenblickte. Ich versteifte mich, als ich realisierte, dass Jennys Geist ganz in der Nähe sein könnte. James hatte Billy einmal gesehen. Konnte Jenny mich beobachten? Ich sah mich um, doch natürlich war ich allein. Warum sollten sie oder Billy hierbleiben und dem Leben zusehen, das sie verlassen hatten?
Mein Blick fiel auf einen Stapel Telefonbücher mit gelben und weißen Seiten, die unter dem Wandtelefon lagen. Ich erwog, den Namen Blake nachzuschlagen, überlegte es mir jedoch anders. Es war spät, und ich hätte Mitch wecken können.
Nachdem ich das Licht in der Küche gelöscht hatte, machte ich mich daran,
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