Silberlicht
Aufmerksamkeit. Sie befand sich in einer Gruppe von ungefähr zwanzig Schülerinnen, die alle rot-weiße Shirts trugen. Sie starrte in James’ Richtung und wurde so kreidebleich, dass sie sicher gleich in Ohnmacht gefallen wäre, wenn eine Freundin sich nicht zu ihr gesellt und ihr etwas zugeflüstert hätte. Das bleiche Mädchen hatte tiefe Schatten unter den Augen und legte ihre Arme um sich, wie um sich vor James’ Anblick zu schützen. Wortlos ließ sie sich von ihrer Freundin weiterziehen.
»Wer war das?«, fragte ich.
»Ich weiß es nicht«, antwortete James. »Ich glaube, die sind von der Wilson Highschool. Cheerleader wahrscheinlich.«
»Sie kennt Billy.« Das war nicht zu übersehen.
»Ich glaube nicht, dass sie ihn mag.« James lachte, doch ich wusste, dass die Begegnung ihn belastete.
»Blake!«, rief eine Stimme, die mich erschauern ließ. »Wir wollen mit dir reden.«
Derselbe Junge, der James damals in der Bibliothek angesprochen hatte, kam mit einem anderen Schüler auf uns zu, dessen ungekämmtes rotes Haar ihm bis auf die Schultern hing. Er trug eine schmutzige Jeansjacke, die er mit diversen Aufschriften beschmiert hatte. James schob mich freundlich, aber bestimmt von sich weg. Ohne einen Blick zurückzuwerfen, ging ich davon.
Nach der Schule sah ich weder James noch sein braunes Auto. Stattdessen kam Jennys Vater in seinem Van herangefahren, der so weiß war wie ein Krankenwagen. Er winkte, und ich versuchte, meinen Smike-Button unauffällig zu entfernen und in der Tasche zu verstauen.
»Hallo, Püppchen.«
Ich stieg ein und legte mir die Tasche in den Schoß. »Hallo, Dan.« Sofort bemerkte ich meinen Schnitzer. »Ich meine, Vater.«
»Seit wann nennst du mich Vater?«, fragte er.
»Entschuldige, Dad.« Dann sagte ich etwas, das mich selbst überraschte. »Ich verändere mich gerade sehr.«
Cathy hätte das sicher beunruhigt, doch Dan schien eher beeindruckt zu sein. »Du kannst mich Vater nennen.«
Als er vom Parkplatz auf die Straße fuhr, sah ich mich um in der Hoffnung, noch einen Blick auf James erhaschen zu können.
»Du willst jetzt aber nicht plötzlich Jennifer genannt werden, oder?«, fragte Dan lachend.
»Nein«, erwiderte ich. »Ich bin keine Jennifer.«
»Für mich wirst du immer mein Püppchen bleiben.«
»Wo ist Mutter? Ich meine Mom?«
»Es ist Dienstag«, erinnerte er mich. »Sie ist beim Missionarstreffen. Was hast du denn gedacht?«
Ich seufzte. Ich hatte es satt, ständig Fehler zu machen.
»Schnall dich an«, sagte er.
Ich zog den Gurt quer über meine Brust und roch einen sanften Gardenienduft.
[home]
Kapitel 12
W illst du ein bisschen üben?«, fragte Dan, als wir die Schule ein paar Blocks hinter uns gelassen hatten.
»Üben?«
»Wir könnten auf den Market-Basket-Parkplatz fahren, wenn du mit dem Previa keine Schwierigkeiten hast.« Er zwinkerte mir zu, doch ich war zu Tode verängstigt, als ich verstand, worauf er hinauswollte. »Was ist los?«, fragte er stirnrunzelnd.
»Nein danke.« Furcht sprach aus meiner Stimme.
Dan wurde merklich kühler. Er umfasste das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel weiß wurden. »Der Gerechte fühlt sich sicher wie ein Löwe.«
Er nannte mich einen Feigling, und auch wenn er mir nicht befohlen hatte, das Fahren zu üben, hatte ich das Gefühl, ihm den Gehorsam zu verweigern. Ich versuchte mir vorzustellen, was Jenny sagen würde, um ihn zu besänftigen und ihm Respekt zu erweisen.
»Ich will heute noch viel lernen«, log ich. »Morgen ist ein Test, und ich möchte, dass du stolz auf mich bist.«
Dies schien zu genügen. Dan entspannte sich und legte mir eine Hand in den Nacken. Sie fühlte sich an wie ein Joch aus Hitze, das mich in die Tiefe zog.
Zu Hause verschwand ich eilig, um ein Bad zu nehmen. Heute war kein Blut in meiner Unterwäsche.
Im Haus war es so still wie in einem geschlossenen Museum. Ich hatte keine Ahnung, wo Dan sich aufhielt. Auf Zehenspitzen schlich ich zu seinem Arbeitszimmer. Durch die halboffene Tür hörte ich ihn telefonieren. Der Boden knackte. Ich erschrak.
»Na, dann in Ordnung.« Seine Stimme wurde lauter. »Wenn es unbedingt sein muss, werde ich da sein.«
Ich huschte in mein Zimmer und saß schon auf dem Bett,
Romeo und Julia
in der Hand (immerhin richtig herum), als er an die Tür klopfte und eintrat.
»Ist das deine Hausaufgabe?«
»Ja«, log ich.
»Deine Haare sind nass«, bemerkte Dan.
Es grenzte an ein Wunder, dass ihm nicht auffiel, dass Jenny in diesem
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