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Silberlicht

Silberlicht

Titel: Silberlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Whitcomb
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hinterlassen würde, doch das stimmt nicht.« Ich sah auf, den Rest konnte ich auswendig. »Ich tat gern so, als sei ich die Seele Ihres Talents, doch das war ich nicht. Was Sie auch tun, die Ideen, die Sie entwerfen, die Zeilen, die Sie schreiben, die Worte, die Sie wählen – es kommt aus Ihrem Innersten.« Er war still wie eine Statue. »Bitte verzeihen Sie mir«, sagte ich. »Es tut mir leid, dass ich mich nicht verabschiedet habe.«
    Wir schwebten in diesem zerbrechlichen Moment, bis ich in Tränen ausbrach und in meine Hände schluchzte. Ich hörte seinen Stuhl über den Boden scharren und spürte seine Hand auf meinem Kopf. Doch das brachte mich nur noch stärker zum Weinen.
    Seine beunruhigten Fragen hörte ich nur halb, ich konnte nicht antworten. Seine starke Hand lag auf meinem Arm. Schließlich hatte ich keine Tränen mehr und rang zitternd nach Atem. Er reichte mir sein Taschentuch, weiß, sauber, gefaltet, noch warm von seiner Hosentasche. Mit vielleicht ein wenig zu viel Selbstverständlichkeit nahm ich es und trocknete mein Gesicht.
    »Bitte sagen Sie mir, was los ist«, bat er mich. Er saß an dem Pult neben mir und hatte seine Hand von meinem Arm genommen. »Oder wenn Sie es mir nicht erzählen wollen, kann ich mit Ihnen zum Schulpsychologen gehen. Kennen Sie Mr. Olsen?«
    »Alles in Ordnung«, sagte ich immer noch zitternd. »Es wird mir gleich bessergehen.«
    »Den Eindruck habe ich nicht«, erwiderte er.
    »Es war, weil ich laut vorgelesen habe«, versuchte ich zu erklären.
Ihnen,
dachte ich.
    »Oh.« Er schien mir nicht ganz folgen zu können. »Es war wunderschön.«
    »Danke«, sagte ich und rieb mir die Augen. Dann begann ich aus irgendeinem Grund zu lachen. »Ich wollte schon immer mit Ihnen über das Schreiben reden.« Ich gab ihm sein Taschentuch zurück.
    »Aber das ist nicht der einzige Grund, der Sie zum Weinen gebracht hat, oder?«, fragte er.
    Ich wollte erst lügen, doch schließlich handelte es sich um Mr. Brown. »Nein«, antwortete ich. »Aber ich kann es nicht erklären, es ist zu kompliziert.« Seltsamerweise fühlte ich plötzlich keinen Drang mehr, mit ihm über sein Buch zu sprechen. Ich war frei.
    »Bitte versuchen Sie es«, bat er mich.
    Er verstand nicht, dass meine Suche vorbei war. Er hatte mich angesehen, mir zugehört, mit mir gesprochen. Das war mein Gral.
    »Den Rest muss ich selbst herausfinden.« Ich lächelte ihn an, ruhig und ohne Schüchternheit. »Sie sind ein wunderbarer Lehrer.«
    Er sah zweifelnd aus. »So zu schreiben habe ich Ihnen nicht beigebracht.«
    »Doch, das haben Sie.« Ich stand auf, warf mir die Tasche über die Schulter und gab ihm das Papier. »Wir sehen uns«, sagte ich, wobei ich wieder lachen musste. »Danke, Mr. Brown.« Als ich ihn zurückließ, verspürte ich zum ersten Mal nicht das Bedürfnis, mich umzudrehen.
     
    Als ich um 11 : 15 Uhr zum Parkplatz kam, war James schon da. Er nahm meine Tasche und küsste mich, dann führte er mich zu den Schließfächern vor der Cafeteria und öffnete die Nummer 77 . Er verstaute unsere Taschen und drückte die Tür zu.
    »Bist du schon mal Fahrrad gefahren?«, fragte er lächelnd.
    »Nein.«
     
    »Es ist nichts dabei.« James schwang das rechte Bein über die Mittelstange und balancierte das Gefährt zwischen seinen Schenkeln. »Steig auf.« Er legte die Hände um meine Hüften und hob mich hoch, während ich gleichzeitig ein wenig in die Höhe sprang. Mein Herz klopfte wie wild, als ich auf den metallenen Griffen vor ihm saß.
    »Ich habe Angst.« Ich lachte, doch es war mir ernst.
    »Vertrau mir«, antwortete James. Ich stieß einen leisen Schrei aus, als er anfuhr und mit der Kraft eines Läufers in die Pedale trat, um gleich darauf auf die Straße zuzurollen.
    »Halt einfach nur das Gleichgewicht«, sagte er ruhig.
    Wir bogen nach rechts ab, viel schneller, als mir lieb war. Ich schloss die Augen, während wir an einer Reihe geparkter Autos vorbeifuhren, und als ich sie wieder öffnete, überkam mich eine tiefe Ruhe. Es war ein vertrautes Gefühl, nicht, weil ich schon auf einem Fahrrad gesessen hätte, sondern weil ich mich fast so fühlte wie in meiner Zeit als Licht. Ich atmete die kühle Luft ein, der Wind ließ mein Haar hinter mir herflattern. Viel zu schnell waren wir in der Amelia Street.
    Die Garage war geschlossen. James half mir vom Lenker und legte das Rad ins Gras.
    »Warum sind wir hier?«, fragte ich unschuldig.
    Er nahm meine Hand und führte mich die Verandastufen

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