Silberlicht
beunruhigt.
»Bitte setzen Sie sich.« Der Vizedirektor deutete in die Mitte des Raumes, in der sich Mr. Brown wie auf dem elektrischen Stuhl niederließ. Er blickte mich an und fragte: »Geht es dir gut?«
Ich nickte und merkte, dass ich immer noch das Foto von ihm in der Hand hielt. Schnell drehte ich es um. Die Luft schien mich zu verschlucken, mich langsam mit Säure zu verdauen. Ich fühlte, wie Mr. Brown in meinem Gesicht zu lesen versuchte. Cathy beobachtete mich und schien meine Qual als kaum verhohlene Leidenschaft zu deuten. Ich wusste, dass sie sich vorstellte, wie ich mich in sein Gesicht und seine Gestalt verliebt und wie er meine Liebe bemerkt und mich in einem leeren Klassenzimmer in die Enge getrieben haben könnte. Mit schweißnassen Händen presste ich sein Foto in meinen Schoß, während Mr. Flint ihn Jennys Eltern vorstellte.
»Michael«, sagte Mr. Flint. »Sie kennen diese Schülerin, Jennifer Thompson.«
»Ja.«
»Haben Sie sie je außerhalb des Unterrichts getroffen?«
Ahnungslos tappte Mr. Brown in den Hinterhalt: »Einmal, während einer Freistunde in meinem Klassenzimmer«.
»Waren Sie allein mit ihr?«, fragte Mr. Flint.
»Nun, ja.« Mr. Brown machte eine Pause, und ich merkte, wie er langsam realisierte, was gerade geschah.
»War die Tür offen oder geschlossen?«
»Offen«, antwortete Mr. Brown und wurde bleich. »Glaube ich.«
»Hatten Sie je körperlichen Kontakt zu dieser Schülerin?« Mr. Flint klang, als hätte er zu viele Gerichtsfilme gesehen.
»Nein«, sagte Mr. Brown. »Doch.« Er seufzte. »Ich habe ihren Arm berührt, oder ihre Hand.« Er rieb mit den Handflächen über seine Knie. »Ihren Kopf, vielleicht. Ich kann mich nicht erinnern. Sie war durcheinander.«
»Hat sie geweint?«
»Ja.«
»Warum?«
»Ich weiß es nicht.«
»Hatten Sie je sexuellen Kontakt mit dieser Schülerin?«
»Nein«, antwortete Mr. Brown. Ein Gewicht drückte auf seine Schultern, ein solches Entsetzen auf sein Herz, dass er tief durchatmen musste, um fortfahren zu können. Er wandte sich an Cathy und Dan. »So etwas würde ich niemals tun.«
»Hat sie je bei Ihnen daheim angerufen?«, fragte Mr. Flint weiter.
»Nein.« Mr. Brown drehte sich hilfesuchend zu mir um, doch ich brachte kein Wort heraus.
»Niemals?«
»Nein.«
»Sie hat Sie am Montagabend nicht angerufen?« Mr. Flint neigte den Kopf und sah ihn triumphierend an, als habe er ihn in flagranti ertappt.
Mr. Brown erwiderte seinen Blick. »Nein.« Doch er schien sich nicht hundert Prozent sicher zu sein.
»Aber sie bedeutet Ihnen etwas«, sagte der stellvertretende Direktor. Wieder das Klopfen des Stifts, das Drehen des Stuhls.
Mr. Brown sah mich an und schien nicht zu wissen, was er antworten sollte. Ich sah in seinen Augen, dass er die machtvolle Verbindung zwischen uns spürte. Er fühlte mich, seine verlorene Gefährtin, in Jennys Körper. Früher hätte ich alles dafür getan, ihn sagen zu hören, dass er mich kannte und liebte, doch jetzt versetzte mich diese Vorstellung in Angst und Schrecken. Bitte versuch nicht, es zu erklären, flehte ich stumm.
»Michael, haben Sie nicht heute Morgen erst nach ihrer Akte gefragt?«
Mr. Brown löste seinen Blick von meinem und sagte: »Ich habe mir Sorgen gemacht, weil sie am Dienstag so durcheinander war, und heute früh sah sie aus, als hätte sie geweint …«
Ich blickte zu Dan und Cathy. Jennys Mutter starrte Mr. Brown an, als sei er ein Monster, dem sie sich nicht entgegenzustellen wagte. Dan hielt ihre Hand wie eine Fessel umklammert. Sein Ausdruck war eisig, doch irgendetwas fehlte in seinen Augen.
»Sie hat Ihnen das hier gegeben.« Mr. Flint hielt eine weitere Klarsichtfolie mit einer Seite aus einem Schreibblock in die Höhe. Mr. Brown griff danach. Ich sah nur die Rückseite, doch ich erkannte es sofort. Frustriert ballte ich meine Hände zu Fäusten.
»Sie haben es gestern im Sekretariat fallen gelassen«, erklärte Mr. Flint.
»Oh«, erwiderte Mr. Brown. Seine Kiefermuskeln spannten sich an, wie immer, wenn er versuchte, seine Tränen zurückzuhalten.
»Das ist von Jennifer, richtig?«
»Ja.« Er räusperte sich.
»Aber Sie behaupten, kein Verhältnis mit ihr zu haben«, bohrte Mr. Flint.
»Das hier hat sie nicht für mich geschrieben«, erklärte Mr. Brown. »Sie hat es mir nur vorgelesen.«
Je mehr er versuchte, ruhig zu bleiben, desto mehr wollte ich ihn berühren, wollte meinen Kopf in seinen Nacken legen, wie ich es früher
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