Silberlinge
ab.
Ich biss mir auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. Nahm ich das Grabtuch jetzt an mich, so würde Marcone außer sich sein und Valmont entweder selbst umbringen lassen oder der Polizei einen Hinweis zuspielen. Valmont dagegen würde das Grabtuch zerstören. Ich müsste es möglichst schnell herausholen, durfte mich dabei aber nicht darauf verlassen, dass ich die Sicherungen auf magische Weise ausschalten konnte. Wahrscheinlich würde irgendetwas versagen, und das Ding würde mir um die Ohren fliegen.
Außerdem brauchte ich auch den Sender, und dazu gab es nur eine Möglichkeit.
Ich stellte mich hinter Valmont und presste ihr den Schnabel der Plastikente in den Rücken. »Keine Bewegung«, sagte ich. »Sonst schieße ich.«
Sie zuckte zusammen. »Dresden?«
»Zeigen Sie mir Ihre Hände.« Sie gehorchte, auf dem Palmtop waren mehrere Zahlenreihen zu sehen. »Wo ist der Sender?«
»Welcher Sender?«
Ich stieß ihr abermals den Entenschnabel in den Rücken. »Auch ich hatte einen schweren Tag, Miss Valmont. Ich meine den Sender, von dem Sie gerade Marcone erzählt haben.«
Sie stieß einen Laut aus. »Wenn Sie das Grabtuch nehmen, wird Marcone mich töten.«
»Ja, er lässt nichts auf seinen guten Ruf kommen. Deshalb wäre es klug, wenn Sie mich jetzt begleiten und den Schutz der Behörden in Anspruch nehmen. Wo ist der Sender?«
Sie ließ die Schultern und den Kopf hängen, und ich hatte einen Moment lang Schuldgefühle. Eigentlich hatte sie mit ihren Freunden hier sein wollen, die jedoch nicht mehr lebten. Sie war eine junge Frau, allein in einem fremden Land, und egal, was geschehen war, sie würde vermutlich nicht lebendig aus der Sache herauskommen. Und jetzt drückte ich ihr auch noch eine Ente in den Rücken. Ich kam mir echt mies vor.
»In der linken Jackentasche«, sagte Valmont ruhig. Dann erinnerte ich mich daran, dass sie ein Profi war. Ich langte vorsichtig in ihre Tasche, um den Sender an mich zu nehmen. Sie schlug mich nieder.
In einem Augenblick drückte ich ihr die Ente in den Rücken und griff in ihre Tasche, im nächsten Moment stürzte ich schon zu Boden und hatte am Kinn eine Prellung, die den Ausmaßen ihres Ellbogens entsprach. Das Licht des Palmtops erlosch, eine kleine, rotgefärbte Taschenlampe flammte auf, und Valmont trat mir die Ente aus der Hand. Der Strahl folgte dem Tier, dann lachte sie.
»Eine Ente.« Sie schob eine Hand in ihre Tasche und zog eine kleine silberne Halbautomatik heraus. »Ich war ziemlich sicher, dass Sie nicht schießen würden, aber das hier ist wirklich lächerlich.«
Ich musste mir unbedingt eine Erlaubnis besorgen, eine verborgene Waffe tragen zu dürfen. »Auch Sie werden nicht schießen.« Ich rappelte mich auf. »Also könnten Sie ebenso gut…«
Sie zielte auf mein Bein und schoss. Schmerzen zuckten durch mein Bein, und ich schrie unwillkürlich auf. Als das rote Licht mich erfasste, presste ich die Hand auf meinen Schenkel. Ich hatte nur zwei kleine Kratzer, die Kugel hatte mich nicht getroffen. Vielmehr war sie neben mir auf dem Betonboden eingeschlagen und hatte ein Stück herausgerissen. Ein oder zwei Splitter hatten mich leicht verletzt.
»Tut mir echt leid«, sagte Valmont. »Wollten Sie etwas sagen?«
»Nichts Wichtiges«, antwortete ich.
»Ach so. Es gehört sich nicht, einem Käufer eine Leiche zu hinterlassen, die er wegräumen muss, also bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als die Ware persönlich zu übergeben. Schließlich können wir nicht zulassen, dass Sie mit der Ware weglaufen, auf die alle so scharf sind.«
»Marcone ist wirklich die geringste Ihrer Sorgen«, antwortete ich.
»Nein, er ist sogar eine recht große.«
»Marcone lässt sich keine Hörner und Krallen wachsen und zerreißt Sie auch nicht in der Luft. Hinter dem Grabtuch ist noch eine andere Gruppe her, die eher so aussieht wie das Wesen, das heute Morgen aufs Boot kam.«
Ihr Gesicht konnte ich hinter der roten Taschenlampe nicht erkennen, doch ihre Stimme bebte ein wenig. »Was war das?«
»Ein Dämon.«
»Ein echter Dämon?« Offenbar war sie nicht sicher, ob sie lieber schluchzen oder lachen sollte. »Ein echter Dämon? Und das soll ich Ihnen glauben?«
»Ja.«
»Dann sind Sie vermutlich eine Art Engel.«
»Zum Teufel, nein. Ich arbeite nur für sie. Gewissermaßen, jedenfalls. Hören Sie, ich kenne Leute, die Sie vor diesen Wesen beschützen können. Menschen, die Ihnen nichts tun, sondern helfen werden.«
»Ich brauche keine Hilfe«,
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