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Silbermantel

Titel: Silbermantel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guy Gavriel Kay
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diesem Moment mit einem Akt strahlenden Heldentums Ruhm und Ehre für sein Volk den Fängen der Schmach entrissen hatte. Wie man es von einem Anführer erwartete.
    Dave wurde bewusst, dass er ein wildes Gebrüll angestimmt hatte, dass Tabor ihn, Tränen in den Augen, fest an sich drückte und ihm auf die verletzte Schulter klopfte, und dass er, den Arm um den Jungen geschlungen, dessen Umarmung erwiderte. Das war nicht, niemals seine Art gewesen, aber im Augenblick war es angebracht, mehr als angebracht.
     
    Ivor war selbst verblüfft über die Wut, die er empfand. Er konnte sich nicht entsinnen, je so in Rage gewesen zu sein. Levon wäre beinahe ums Leben gekommen, sagte er sich, das war wohl der Grund. Eine tolldreiste Tat war das gewesen. Ivor hätte auf fünfundzwanzig Reitern bestehen sollen. Er, Ivor, war schließlich immer noch Häuptling des dritten Stammes.
    Und dieser leidenschaftliche Gedanke ließ ihn innehalten. War es nur die Sorge um Levon, die seinen Ärger entzündet hatte? Immerhin war es jetzt vorbei; Levon ging es gut, mehr als gut. Der gesamte Stamm war von dem begeistert, was er getan hatte.
    Revors Tötungsmethode. Levons Ruhm war gesichert; seine Heldentat würde die winterliche Zusammenkunft der neun Stämme beherrschen. Schon bald würde sein Name überall auf der Ebene gerühmt werden.
    Ich komme mir alt vor, stellte Ivor fest. Ich bin neidisch. Ich habe einen Sohn, der wie Revor töten kann. Was bedeutete das für ihn? War er jetzt bloß noch Levons Vater, ein Anhängsel seines Namens?
    Was ihn auf einen anderen Gedanken brachte: Erging es etwa allen Vätern so, wenn ihre Söhne zu Männern wurden? Zu Helden, namhaften Männern, die ihre Väter in den Schatten stellten? Gab es etwa immer diesen bohrenden Neid, der den Ausbruch stolzer Gefühle dämpfte? War es Banor so ergangen, als der zwanzigjährige Ivor seine erste Ansprache in Celidon gehalten und sich das Lob sämtlicher Stammesältesten für die Weisheit seiner Worte eingehandelt hatte?
    Vermutlich ja, dachte er und entsann sich voller Liebe seines eigenen Vaters. Vermutlich ja, und es kam, wie Ivor feststellte, nicht darauf an. Wirklich nicht. Es gehörte zum Lauf der Dinge, war Teil der Prozession, an der alle Männer auf dem Weg zur Stunde des Wissens teilnahmen.
    Falls er eine Tugend besaß, überlegte Ivor, etwas in seiner Natur, das er an seine Söhne weitergeben wollte, dann war es Duldsamkeit. Er lächelte etwas schief. Eine Ironie wäre das, wenn sich jene Duldsamkeit nicht auch auf ihn selbst erstrecken ließe.
    Was ihn an etwas anderes gemahnte. Seine Söhne; und seine Tochter. Er hatte mit Liane noch ein Wort zu reden. In wesentlich besserer Stimmung machte Ivor sich auf, sein mittleres Kind zu suchen.
    Revors Tötungsmethode. Oh, bei Ceinwens Bogen, wie stolz er doch war!
     
    Das Fest der Neuen Reiter begann in aller Form bei Sonnenuntergang mit einer Versammlung des Stammes auf dem weiten zentralen Platz des Lagers, wo den ganzen Nachmittag über die Düfte langsam garenden Wildbrets aufgestiegen waren. Ein wahrhaftes Fest würde das werden: Zwei neue Reiter und Levons Heldentat am gleichen Morgen. Eine Leistung, die das vorherige Versagen wettgemacht hatte. Niemand, nicht einmal Gereint, konnte sich an den Zeitpunkt erinnern, wann so etwas das letzte Mal vollbracht worden war. »Nicht seit Revor selber!« hatte einer der Jäger ein wenig trunken gebrüllt.
    Alle, die am Morgen an der Jagd teilgenommen hatten, waren nicht mehr ganz nüchtern; sie hatten, Dave nicht ausgenommen, früh mit dem klaren, herben Schnaps angefangen, den die Dalrei brannten. Die Stimmung auf dem Heimweg, Erleichterung vermischt mit Euphorie, war allzu ansteckend gewesen, und Dave hatte sich von ihr mitreißen lassen. Einen Grund, sich zurückzuhalten, schien es nicht zu geben.
    Die ganze Zeit hindurch, während er Runde um Runde mit ihnen trank, wirkte Levon beinahe unbeeindruckt von dem, was er getan hatte. Selbst als er danach Ausschau hielt, konnte Dave bei Ivors älterem Sohn keinerlei Arroganz, keine versteckte Überheblichkeit entdecken. Irgendwo musste sie doch zu Tage treten, dachte er, misstrauisch wie immer. Aber als er noch einmal hinsah, während er zwischen Levon und Ivor zum Festplatz ging – wie es schien, war er Ehrengast –, merkte Dave, dass er dabei war, zögernd seine Meinung zu ändern. Ist etwa ein Pferd arrogant oder überheblich? Seiner Ansicht nach nicht. Stolz, ja; wie viel Stolz war doch von jenem Fuchshengst

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