Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
nicht die Mühe gemacht, meine Judokenntnisse über den dritten Dan hinaus zu erweitern. Und jetzt bin ich zu faul, um noch auf die Matte zu gehen.«
    Der Aufzug klingelte. Die Schiebetüren gingen auf. Zwei Männer in dunklen Anzügen stürzten hinaus, packten Michael und hielten ihn fest.
    Franca lachte heiser und erregt. Der Wein war ihr ein wenig zu Kopf gestiegen.
    »Eine schöne Show, die Sie da abgezogen haben!«
    Ken verzog leicht das Gesicht.
    »Es tut mir leid, ich hätte das vielleicht nicht tun sollen.«
    Er sagte einige Worte zu dem Chef, der den Anblick einer Steinfigur bot. Kens Bemerkung löste die Spannung. Die Kellner brachen in Lachen aus. Auch der Chef zeigte frostig seine Zähne, bevor er sich mit steifem Rücken verbeugte.
    »Man wird Ihnen ein Taxi rufen«, sagte Ken zu Michael, der vergeblich versuchte, sich aus dem Griff der beiden Sicherheitsbeamten zu befreien. Beide machten ein finsteres Gesicht und hielten den Mund fest zusammengekniffen.
    187
    Michael stieß und zerrte wie ein Wahnsinniger, er kam von ihnen nicht los.
    »Du japanisches Arschloch!« brüllte er Ken an. »Warte nur! Wir sehen uns vor Gericht. Ich werde Anzeige wegen Körperverletzung erstatten! Jawohl, das werde ich, darauf kannst du dich verlassen! Und dich kriege ich auch noch, du Schlampe!
    Bilde dir ja nicht ein, daß du dich so aus der Klemme ziehst. Du wirst noch von mir hören, du geiles Biest!«
    »Wenn ich Sie noch einmal in die Mangel nehme«, sagte Ken, »landen Sie im Krankenhaus und ich auf der Polizeiwache. Mir würde das nichts ausmachen. Aber wie steht es mit Ihnen?«
    Er wartete nicht, daß Michael eine Antwort gab, hob meine Tasche auf und umfaßte meine Schultern. Ein Klingeln, ein Gleiten der Schiebetüren: Der Aufzug hielt gerade. Ken schob mich behutsam hinein. Die Liftführerin sah uns kurz von der Seite an, bevor sie uns diskret den Rücken zudrehte und mit heller Stimme die Etagen ankündigte. Ich zitterte so stark, daß die Knie unter mir nachgaben. Ken drückte den Mund in mein Haar.
    »Sei mir nicht böse, Chérie. Ich fürchte, ich habe ein wenig die Geduld verloren.«
    Ich schüttelte verzweifelt den Kopf.
    »Nein, es war meine Schuld.«
    »Nimm es nicht schwer«, sagte er. »Es lohnt sich nicht.«
    Ich preßte mich an ihn, umklammerte ihn mit beiden Armen. Wenn ich die Augen schloß, drehte sich der ganze Aufzug. In meinem Bauch war es kalt, die Schläge meines Herzens lähmten mich. Wie kommt es nur, daß ich solche Angst habe? Kein Mensch auf der ganzen Welt hat so viel Angst wie ich! Wie lange schon? Es muß geschehen sein, als ich noch ein Kind war. Vielleicht ist das auch der Grund, warum mir meine Angst so ungeheuerlich vorkommt. Bei mir stieg sie nie in die Luft und verging, sie sank tief in mich hinein, blieb mir stets so furchtbar nahe, daß sie zu einem zweiten Ich wurde. Es gibt Dinge, die ich auch dir nicht erzählen kann, es wäre nicht nur nutzlos, sondern auch gefährlich. Das Böse würde erwachen, würde Form und Gestalt annehmen, sich zwischen dich und mich drängen und alles beschmutzen. Denk nicht mehr daran.
    Ein leises Klingeln. »Zwischengeschoß«, sagte die Liftführerin auf Englisch.
    Der Aufzug hielt. Die Türen glitten auf.
    »Komm!« flüsterte Ken. Ich machte einen Schritt, noch einen, und knickte zusammen. Er war sofort hinter mir, stützte mich.
    »Was hast du?« fragte er. »Was hast du?«
    »Ken… entschuldige! Ich… ich… kann nicht mehr gehen! «
    Er warf meine Tasche über seine Schulter, hob mich hoch, den Arm unter meinen Knien, meinen Kopf an seiner Schulter. Er trug mich durch den Gang, die Leute drehten sich nach uns um, ihm war das egal. An der Rolltreppe setzte er mich behutsam nieder, hielt mich eng umschlungen. Während die Rolltreppe nach 188
    unten glitt, begann er plötzlich zu reden, zu erzählen. Er tat es, um mich abzulenken, mich auf andere Gedanken zu bringen. Beim Verladen der Instrumente, sagte Ken, sei einer der Jungen vom Lastwagen gestürzt.
    »Ausgerechnet Tetsuo, unser Flötenspieler. Du hast ihn ja auf der Bühne gesehen. Jetzt hat er einen Sehnenriß am Knie, eine schlimme Geschichte. Ich mußte den Krankenwagen bestellen, Tetsuos Eltern in Yokohama anrufen. Die Mutter kam zwei Stunden später, inzwischen wurde Tetsuo operiert. Er liegt im Krankenhaus und muß vier Monate lang auf Krücken gehen. Im Juni findet auf unserer Insel das Feuerfest statt; der Arme ist todunglücklich, weil er das Fest verpaßt. Anschließend mußte

Weitere Kostenlose Bücher