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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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bis er sich langsam umdrehte. Ich öffnete die Augen und sah, daß er gelöst vor sich hinlachte.
    »Ob du es glaubst oder nicht, ich bin noch nie in diesem Zustand durch Tokio gefahren.«
    Ich küßte seine Schulter und lächelte.
    »Angst gehabt?« fragte er.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Wie hast du es nur geschafft?«
    »Eine Frage der Selbstbeherrschung. Eine etwas heldenhafte, zugegeben.
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    Warte, meine Hose ist noch auf!«
    »Wo sind wir?«
    »In Asakusa. Ich habe ein Zimmer in einem Ryokan, einer japanischen Herberge, reserviert. Ich hoffe, daß es dir gefällt.«
    Eine schmale, verwinkelte Straße ohne Gehsteig. Die altmodischen Holzhäuser hatten schräge Vordächer und matte, schummrig erleuchtete Fensterscheiben. Licht war nur noch in verschiedenen Schattennuancen vorhanden. Ken stellte das Motorrad an eine Wand, warf meine Tasche über seine Schulter und nahm den kleinen Sportsack, den er bei sich hatte. Hand in Hand gingen wir an einer dunklen Hecke entlang; unzählige Grillen zirpten, und die Luft war voll betörender Düfte.
    Ken stieß ein kleines Holztor auf; wir gingen ein paar Schritte über einen gewundenen Kiesweg. Neben zwei Zwergkiefern war ein uralter, abgeschliffener Steinblock in den moosigen Boden gerammt. Seine obere Fläche war ausgehöhlt, damit sich das Regenwasser darin ansammelte. Ein großer Schöpflöffel aus Bambus lag auf dem Rand. Ken deutete darauf.
    »Früher dienten solche Steine dazu, das Regenwasser für die Teezeremonie aufzufangen. Heute ist das Wasser unbrauchbar. Der Schöpflöffel ist nur noch Dekoration.«
    Zwei Steinstufen führten zu einer hölzernen Schiebetür empor. Eine Klingel war nicht vorhanden. Alles war dunkel und ruhig. Ken klopfte. Ich fragte mich, ob überhaupt noch jemand wach war. Nach einer Weile schimmerte Licht durch die Ritzen. Die Schiebetür glitt zur Seite. Eine Frau kniete auf der Schwelle; sie begrüßte uns, indem sie ihren Oberkörper wiederholt zu Verbeugungen senkte. Sie war nicht mehr jung, aber ihr rundliches weißes Gesicht hatte einen mädchenhaften Ausdruck. Sie trug einen dunkelblauen Sommerkimono und eine braunrote Gürtelschärpe. Ihre herzliche Art, Ken zu begrüßen, zeigte, daß sie ihn kannte. Er verneigte sich höflich und sagte einige Worte, die ich verstand: Er entschuldigte sich, daß wir so spät kamen. Die Frau hob eine Hand in Brusthöhe, bewegte sie lebhaft verneinend hin und her. Nein, nein, sie freue sich, uns zu begrüßen. Ken stellte sie als Akiko-san vor.
    »Sie ist Witwe und führt diese Pension schon seit Jahren.«
    Ich verneigte mich. Akiko-san erwiderte höflich meine Verbeugung. Sie starrte mich kurz an, schlug aber sofort die Augen nieder. Sie verstand es, ihre Neugierde im Zaum zu halten. Wir zogen unsere Schuhe aus, ließen sie auf dem Steinfußboden am Eingang stehen. Akiko-san reichte uns zwei Paar Filzpantoffeln, in die wir schlüpften, bevor wir ihr auf dem mit Matten ausgelegten Gang folgten.
    Akiko-san ging in den traditionellen weißen Socken vor uns her, wobei sie lebhaft sprach.
    »Wir sind heute die einzigen Gäste«, erklärte mir Ken. »Die Zimmer sind hauptsächlich am Wochenende belegt.« Wir gingen durch den spärlich erleuchteten Gang. Nach alter Sitte kniete Akiko-san auf dem glänzenden Holzfußboden nieder 191
    und öffnete eine Schiebetür, durch die wir in einen ziemlich großen Raum traten.
    Der Boden war mit Matten aus gepreßtem Reisstroh ausgelegt; sie waren mit einem dünnen Streifen Goldbrokat umrandet. Ich folgte Kens Beispiel, trat mit bloßen Füßen in das Zimmer; die Matten federten unter meinen Füßen und rochen nach Sommergras. Das sanfte Licht einer Lampe erleuchtete die Wände und Schiebetüren, die mit hellbraunem Stoff bespannt waren. Das Fenster war mit einem Shoji versehen, einer Schiebewand aus leichten Holzlatten und durchscheinendem Reispapier. Dahinter befanden sich die Glasscheibe und ein ganz feines Mückennetz. Als Möbel gab es nur einen kleinen Lacktisch mit einer Thermosflasche, einen Aschenbecher und zwei Keramikbecher. Große, flache Baumwollkissen dienten als Sitzgelegenheit. In einer Ecke stand ein Schminktischchen, das aussah wie ein Puppenmöbel. Ich wußte, daß die Futons, die traditionellen japanischen Betten, tagsüber in einem Wandschrank aufbewahrt wurden. Nur in einer Ecke stand, als einziges Zugeständnis an das Moderne, ein Fernsehapparat. Ken hatte lächelnd meine Freude beobachtet.
    »Nun, wie gefällt es dir?«
    »Oh, Ken, das ist ganz

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