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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einer Art triumphierenden Hasses. Mein Vater steht im Türrahmen und furcht betrübt die Stirn. Meine Mutter kommt schwerfällig wieder auf die Beine, sie taumelt ein wenig dabei. Dreht sich nach mir um, mit funkelnden Augen. Und dann schlägt sie mich: zwei Ohrfeigen, rechts und links. Ich habe das Gefühl, daß mein Kopf explodiert, und brülle noch lauter. Aber, Marie-Anne, sagt mein Vater, du sollst das Kind doch nicht schlagen. Meine Mutter atmet keuchend, fährt sich mit dem Ellbogen über die schweißfeuchte Stirn. Mein Vater nimmt ihr das Buch aus der Hand. Zu mir sagt er: »Komm, wir beide bringen es jetzt zurück.«
    Wir laufen durch die Altstadt. Mein Vater geht schnell, sein graues Haar weht im Wind. Sein Ausdruck ist streng, wie es sich gehört. Er will die unangenehme Sache hinter sich bringen. Das Buch hält er unter dem Arm. Tränenblind stolpere ich über meine eigenen Füße.
    Mein Vater sagt, ich solle mich bei der Buchhändlerin entschuldigen, dann sei alles wieder in Ordnung. Er gibt mir sein Taschentuch, damit ich mir die Nase putzen kann. Wir gehen in den Laden. Ich fühle nichts. Wir kommen mit einem
    »Kling« von der Straße herein. Die Buchhändlerin grüßt zurückhaltend. Sie macht ein komisches Gesicht. Mein Vater lächelt zerknirscht und gewinnend. Die Sache sei ihm entsetzlich peinlich, aber sie wisse schon, die Kinder… Die Buchhändlerin lächelt jetzt auch. Mein Vater kann sehr charmant sein. Er gibt mir einen kleinen Schubs.
    »Nun geh schon, entschuldige dich bei der netten Dame!«
    Ich entschuldige mich. Ich kenne meine Stimme nicht wieder. Die Buchhändlerin antwortet, solche Dinge könnten vorkommen, sie habe es nur für ihre Pflicht gehalten, meinen Vater zu benachrichtigen. Aber weil ich das Buch so gern hätte, und vielleicht auch, weil mein Vater so charmant ist, gibt sie es mir plötzlich zurück. Sie wolle es mir schenken, sagt sie. Ich kann es nicht glauben, es ist ein Wunder. Doch mein Vater nimmt mir das Buch aus der Hand. Er tut es sachte, aber bestimmt. Er sagt, ich hätte mir etwas zuschulden kommen lassen.
    Meine Strafe sei jetzt, auf das Buch zu verzichten. Die Buchhändlerin meint, sie würde das wohl einsehen, es sei ja tatsächlich so, daß Kinder nicht alles gleich 226
    haben müßten. Mein Vater erwidert, daß sei bei ihm ein Erziehungsgrundsatz. Sie lächeln sich an. Mein Vater sagt, daß er ein besonderes Werk über die Sprachreform der Escola Occitana suche und gelegentlich mal vorbeikommen werde. Er legt mir die Hand auf die Schulter.
    »Komm, Julie, wir gehen.«
    Auf der Türschwelle höre ich, wie die Buchhändlerin meinen Vater ruft.
    »Monsieur Saint-Privaz?« Ihre Stimme klingt seltsam hohl. Wir drehen uns nach ihr um. Sie hat einen erschreckend starren Ausdruck im Gesicht. Ihr Mund steht offen.
    »Ihre Tochter…«, sagt sie. »Julie…«
    Mein Vater blickt verwundert auf mich herab.
    »ja, was ist denn?«
    Die Buchhändlerin schluckt ein paarmal.
    »Ich glaube, Sie sollten schnell mit ihr nach Hause gehen.«
    Im Laden sind ein paar Leute, die uns plötzlich alle anstarren. Ich fühle, daß mein Kleid hinten naß ist. Das Kleid ist aus Vichy-Stoff, rosa und weiß kariert. Ich blicke über meine Schulter hinweg nach unten, ziehe ein paar Falten auf die Seite.
    Und da sehe ich es: zwei handtellergroße, dunkelrote Flecken. Ich blute.
    Mein Herzschlag setzt aus. Alles dreht sich im Kreis: die Gesichter meines Vaters, der Buchhändlerin, der anderen Leute, mich anstarrend in zerfließendem Weiß. Eine lähmende Stumpfheit senkt sich auf mich herab wie Nebel. Stimmen und Geräusche verschwinden in weiter Ferne. Ich versinke im Nichts.
    Kühle. Halbdunkel. Ich schlage die Augen auf. Ich liege in meinem Bett. Meine Mutter sitzt auf der Kante. Sie hebt meinen Kopf, schiebt mir ein Stück Zucker mit ein paar Tropfen Pfefferminzlikör zwischen die Lippen. Der Zucker brennt auf der Zunge, und gleichzeitig erschauere ich und huste. Ich will wissen, ob ich krank bin und zum Arzt muß. Sie sagt, du bist jetzt unrein. Ich frage, was ist das? Meine Mutter erklärt mir, alle Frauen seien einmal im Monat unrein, das hinge mit dem Mond zusammen. Ich erschrecke. Meine Mutter sagt, sie würde auch jeden Monat bluten. Sie zeigt mir, was sie benutzt: Stoffbinden, die an einen Gurt geknöpft werden. Diese Binden müsse ich in einen besonderen Behälter werfen, waschen und auskochen. Es gäbe zwar Wegwerfbinden, aber die seien zu teuer. Und während ich blute, darf ich

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