Silbermuschel
mich nicht waschen, nicht turnen und nicht am Schwimmunterricht teilnehmen. Und auch keine Milch kochen, kein Silber putzen und keine Mayonnaise anrühren. Und ich würde jeden Monat starke Bauchschmerzen haben, das sei das Los der Frauen. Ich frage, warum. Sie sagt, das hinge mit dem Kinderkriegen zusammen. Ich frage, tut das weh, wenn eine Frau ein Kind kriegt? Sie sagt, ja, ganz entsetzlich. Aber das sei die Strafe, weil sich Eva im Garten Eden von der Schlange verführen ließ. Sie fügt hinzu, daß ich jetzt zu den jungen Abstand halten solle. Ich will wissen, warum. Sie sagt, ich müsse alles für meinen Mann aufheben. Ich frage, was? Sie sagt, ich dürfe den Jungen nie 227
gewähren, was sie wollen. Was? Was wollen sie denn? Sie sagt, ich sei noch zu jung, um darüber zu reden. Und die Sache mit dem Buch verzeihe sie mir. Kleine Mädchen, die unrein sind, würden oft vom Teufel heimgesucht. Aber das dürfe nie, nie wieder passieren. Sonst würde mich der liebe Gott bestrafen. Und sie würde die Buchhändlerin bitten, die Geschichte für sich zu behalten. Sie wolle nicht, daß über uns geklatscht wird. Sie sagt auch, es täte ihr leid, daß sie mich geschlagen habe.
Ob ich ihr auch verzeihen könne? Ich sage ja. Ob ich für sie beten würde? Ich sage wiederum ja. Sie umarmt mich nicht. Sie umarmt mich niemals.
Mein Vater sagt, das Buch hätte er mir ja gekauft, nur nicht gerade in diesem Monat, wo so viele Rechnungen vorliegen. Er nimmt mich auf die Knie und streichelt mich. Das habe ich gern. Meine Mutter streichelt mich nie. Er riecht nach Tabak, aber ich mag sein Parfüm, Habanita. Meine Mutter benutzt kein Parfüm.
Sie sagt, eine Frau müsse vor Gottes Augen bescheiden sein. Bei meinem Vater sei das etwas anderes. Er stehe im Rampenlicht und müsse auf eine gepflegte Erscheinung achten.
Mein Vater streichelt meine Schenkel und knetet sie, einmal faßt er mir sogar flüchtig zwischen die Beine. Es ist seltsam; ich mag es, wenn er mich streichelt, und habe gleichzeitig Angst. Und warum streichelt er immer nur die Beine oder die Brust? Mein Gesicht streichelt er nie, er küßt mich auch niemals. Er nennt mich mon petit chat, mein Kätzchen. Er sagt, ich habe gelbe Augen wie eine Katze.
Eines Tages antworte ich, daß ich viel lieber ein Fuchs wäre. Mein Vater lacht. So, so, ein Fuchs willst du sein? Paß auf, gleich kommt der Jäger mit dem Schießgewehr. Er zielt mit dem Finger auf meine Brust, stößt sie leicht an und sagt: pan, pan! Jetzt bist du tot. Seine Augen leuchten seltsam. Meine Brust zieht und spannt.
Ich mag es nicht, wenn er sie mit den Fingern berührt. Früher hat er das auch schon gemacht. Aber früher hatte ich noch keine Angst.
Es wird Mai. Der Kastanienbaum blüht. Auf jedem Zweig schaukeln rosa Blütendolden, himmelumgeben, lichtumflutet. Die neuen Blätter leuchten smaragdgrün. Gestern abend zog ein Gewitter vorbei; ein Regenschauer ging nieder, und heute früh ist der Himmel tiefblau. Die noch milde Sonne hebt die Schatten einer jeden Bewegung der Gräser und Zweige hervor. Gleich Diamantengespinst glitzern nasse Spinnweben an den Efeuranken. Es ist Samstag, wir haben schulfrei. Der Garten funkelt und strahlt wie ein Märchenland. Der Kastanienbaum spannt ein Schattendach über einen Schwarm von Gänseblümchen.
Eine Blütentraube liegt im Gras; der Wind hat sie von einem Zweig gelöst. Ich stecke sie mit einer Haarnadel hinter mein Ohr, ich tanze und klatsche in die Hände und singe ein Lied, das ich erfinde.
Kurino-Ki, wirst du nie müde?
Nie müde, hier zu stehen?
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Komm und tanze mit mir.
Wenn ich tot bin, wirst du einsam sein.
Ich weiß nicht, warum mir dieses Lied in den Sinn kommt.
Jeden Monat wasche und koche ich meine Binden aus. Mein Körper verändert sich. Meine Brust wird empfindlich und schwillt an. An meinem Unterleib hat sich ein dünner Flaum gebildet, nicht rot, wie mein Kopfhaar, eher kastanienbraun.
Einige Mädchen aus meiner Klasse sind ebenfalls unrein. Wir machen bei den Turnübungen nicht mit. Mädchen und Jungen haben getrennten Unterricht. Die Jungen sind auf dem Sportplatz; wir Mädchen turnen in der Halle. Ein Mädchen sagt, der richtige Name für das, was wir hätten, sei Menstruation. Ihre Mutter habe ihr erklärt, warum wir bluten würden. Sie sagt es uns. Sie erzählt uns auch ganz genau, was die Männer mit den Frauen in der Hochzeitsnacht tun. Wir stecken kichernd die Köpfe zusammen. Sie sagt, aber bis dahin müßten wir Jungfrau
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