Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
Wangen und lacht. Er selbst rührt im Haushalt keinen Finger. Morgens also gehe ich zum Bäcker, hole frisches Brot. Ich koche Kaffee, frühstücke mit meinem Vater. Dann spüle ich das Geschirr, lüfte das Schlafzimmer aus, mache das Bett. Zwei Tage vergehen. Ich koche, spüle, wische die Fliesen. Ich putze WC und Badezimmer. Die schmutzige Wäsche sammelt sich im Korb an. Ich koche die Taschentücher, hänge sie auf die Leine zum Trocknen. Mein Vater besitzt dreißig Taschentücher. Jeden Morgen nimmt er ein frisches, und alle müssen gebügelt sein. Er arbeitet in seinem Zimmer, im ersten Stock. Durch die halboffene Tür sehe ich ihn, wie er im Unterhemd vor der Schreibmaschine sitzt. Auf dem Tisch und auf dem Boden stapeln sich Bücher und Zeitungsstöße. Er raucht, trinkt Wermut. Das Zimmer ist voller Qualm. Die Tippgeräusche höre ich längst nicht mehr.
    Der August ist der heißeste Monat im Jahr.
    Tagsüber kennt die Erde keinen Schatten mehr. Die erhitzte Welt draußen scheint sich aufzulösen. Die Sonne glüht wie ein Feuerball. Das Zirpen der Zikaden erzeugt einen ewigen Geräuschestrom, bannend, betäubend. Im Haus ist 238
    es dunkel und kühl, es riecht nach Gips, Salmiakgeist und Tabak, und in der Mittagszeit nach Essen. Sobald die Sonne sinkt, wird der Himmel blau und straff.
    Das Zwitschern der Vögel im Kastanienbaum verkündet das Nahen des Abends.
    Der Lärm auf den Boulevards ist sehr laut. Fledermäuse zucken durch das rotblaue Licht, streifen die Hauswände im Flug. Die Dunkelheit fällt herab wie ein Tuch.
    Eine Mondhälfte geht auf, schwer und orangenfarben. In einigen Tagen ist Vollmond. Der gelbe Schein verwebt sich mit dem Laubmuster des Kastanienbaums. Alle Schatten im Garten sind finster; so auch unser Haus, pechschwarz. Abends schweigen die Zikaden; das Konzert der Grillen setzt ein.
    Manchmal gluckst eine Kröte, schwer und dumpf. Die Nachbarn haben einen Fernseher: bläuliches Licht flackert durch die Jalousien. Wir haben nur das Radio.
    Mein Vater hört sich die Nachrichten an und klassische Musik.
    Wir sitzen bei Tisch. Ich habe Nudeln gekocht und eine Tomatensoße angerührt. Mein Vater trinkt Rotwein, ich Leitungswasser.
    »Schmeckt gut, Julie«, sagt er, »wie im Restaurant.«
    Während des Essens spricht er nur wenig. Um so mehr freue ich mich über das Lob.
    »Du bist eine Küchenfee, die ihrem Papa ganz vortrefflich den Haushalt führt!«
    Er lacht, wohltönend und gewinnend. Ich sage kein Wort. Ein undefinierbares Fluidum, eine Art von Trübung der Atmosphäre, läßt mich eine Drohung spüren, die von ihm ausgeht. Er wischt sich die Lippen ab, zündet sich eine Zigarette an.
    Das Klicken seines Feuerzeugs läßt mich zusammenfahren. Ich springe auf, hole einen Aschenbecher und stelle ihn auf den Tisch. Er hält mich plötzlich am Arm fest. Die Frage, die er nun stellt, raubt mir den Atem. Ob ich jetzt gerade meine Monatsblutung habe?
    Ich stehe da, wie vom Blitz getroffen. Mein Herz steht vor Scham fast still.
    Wieso stellt mein Vater diese Frage, und dazu noch bei Tisch? Er beugt sich vor, so daß ich plötzlich Tabakqualm einatme und die Augen senke. Mit flatternden Lidern starre ich auf seine bloßen Füße, die in Pantoffeln stecken. Er redet weiter, seine Stimme klingt nachsichtig und voller Güte. Ich solle mich doch nicht genieren, meine Gesundheit sei ihm wichtig. Ich kann ihn nicht ansehen, ich will ihn nicht ansehen und sehe trotzdem – den Bruchteil eines flüchtig geschauten Bildes – die dicken Tropfen auf seiner Stirn, die zuckenden Lippen, die starrenden, von purpurnen Fäserchen durchzogenen Augen. Schon reiße ich mich los, stürze aus dem Eßzimmer, die Treppe hinauf. In meinem Zimmer ist alles dunkel. Ich mache hastig Licht, werfe die Tür zu, setze mich mit fliegendem Atem aufs Bett.
    Vor mir sehe ich den Schrankspiegel und darin mein Bild. Mein ganzes Gesicht scheint nur aus Augen zu bestehen. Nur die Hände sind in Bewegung, rastlos damit beschäftigt, meine Finger zu kneten.
    Unten schiebt mein Vater seinen Stuhl zurück, stellt das Radio ab, wandert auf und ab. Dann rauscht die WC-Spülung, ich höre, wie er sich die Hände wäscht.
    239
    Das Wasser gurgelt durch die Rohre. Einen Augenblick später geht er ins Schlafzimmer. Der Kleiderschrank quietscht, als er die Tür öffnet. Er zieht sich an, überlegt, welches Hemd zu welcher Krawatte paßt, steckt sich ein frisches Taschentuch ein. Dann geht er die Treppe hinunter. Die Haustür fällt ins

Weitere Kostenlose Bücher