Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
geben. Aber nicht hier, sonst weiß es bald die ganze Stadt. Das bringt deinen Vater in Verruf, gerade jetzt, wo seine Arbeit Beachtung findet. Nein, nicht in Arles. In Montpellier vielleicht. Wenn du nur nicht so schreien würdest. Tag und Nacht. Was sollen denn die Nachbarn denken?
    Jetzt muß ich dir wieder den Schlüpfer wechseln. Und dein Haar ist ganz verfilzt.
    Solange du in diesem Zustand bist, kann ich dich nicht kämmen. Wann wirst du endlich wieder vernünftig?
    Die Zeit ist nicht mehr. Ich weiß nicht, welche ist. Irgendwann kommt meine Mutter wieder, hebt mich hoch. Ich höre dicht an meinem Kopf ein trockenes, knirschendes Geräusch. Ich öffne die Augen. Meine Mutter hält eine Schere dicht vor meinem Gesicht. Ich kneife schnell die Lider zu. Ich habe Angst, daß sie mir die Augen aussticht. Sie sagt, halt still! Ihre Stimme klingt ungeduldig. Nach einer Weile hört das Geräusch auf. Ich falle auf das Kissen zurück, ich fühle mich wohler. Ich denke, sie hat mir die Haare geschnitten. Sie wäscht mich, sie trocknet mich ab. Wie seltsam, sie streichelt mich. Nein, sie streichelt mich nicht. Das tut sie nie. Es mag nur der Schatten der Blätter sein. Ich bewege mein Gesicht hin und her, die Blätter streicheln mich wie Hände.
    Die Zeit ist nicht mehr. Ich weiß nicht, welche ist. Ich sterbe jeden Abend und wache morgens auf. Ich stelle mein Bewußtsein auf die Linien ein, die durch die Jalousien flimmern. Wenn die Linien näher kommen, kratze ich sie von den Wänden. Ich kann fühlen, wie mein Gesicht sich an der Wand reibt, bis die Haut platzt. Ich reiße mir die Nägel wund, ich lutsche am Daumen. Meine Haut schmeckt nach Blut und Gips. Ich habe Durst, Mama… ganz schrecklichen Durst.
    Ich kann schreien, wie ich will, du kommst nicht. Du kommst dreimal am Tag, zu ganz bestimmten Zeiten. Ich sehe es an der Länge der Schatten, an der Tönung des Lichts. Es gibt nichts anderes, über das ich nachdenken kann. Warum kommst du nicht, Mama? Mir ist so heiß, das Blut dröhnt und pocht in meinem Schädel. Meine Zunge ist geschwollen, die Spitze fühlt sich wie Papier an.
    Die Zeit ist nicht mehr. Ich weiß nicht, welche ist. Ich schaue in meinen Schlüpfer. Warum blute ich nicht? Meine verwirrten Gedanken bewegen sich nur schwerfällig. Dann kehrt die Erinnerung wieder, heruntergespult wie in Zeitlupe.
    Ein Mädchen muß jeden Monat bluten. Und wenn sie nicht blutet, wächst ein Kind in ihrem Bauch. Jetzt spüre ich die wirkliche, die unheilbare Wunde. Die Verletzung in mir brennt im Grau der Schlaflosigkeit, in der Hitze des wiederkehrenden Tages. Meine Angst wächst, ich fiebere und phantasiere. Ich sehne mich noch nach dem Blut.
    Meinen Schlüpfer ausziehen. Die Schenkel breit machen. Meine Finger tief in den klammen, heißen Spalt tauchen. Ich berühre ein birnenförmiges Ding, ertaste seltsame Formen hinter einer glatten Wand. Es fühlt sich an, als ob ich mit der Zunge über die Innenseite meiner Wange streiche. Ich reibe und drücke. Ich will 253
    nicht, daß das Kind des Teufels in meinem Bauch wächst. Es brennt und tut weh, aber es blutet nicht.
    Also muß ich etwas tun. Ich überlege. Plötzlich richte ich mich auf, setze die Füße auf den Boden. Das ganze Zimmer dreht sich um mich. Meine Knie zittern vor Schwäche und Angst, ich falle um, kippe schwer auf den Boden. Da liege ich nun, das nackte Elend, und schluchze eine ganze Weile lang. Dann stemme ich mich wieder hoch, krieche zur Kommode. Ich ziehe sämtliche Schubladen auf, wühle alles durcheinander. Irgendwann hatte ich angefangen, einen Pullover zu stricken. Ich hatte es fast vergessen gehabt. Aber jetzt finde ich das Wollknäuel, die unförmige blaue Strickerei. Ich ziehe behutsam eine Nadel aus der Maschen reihe, sehr aufmerksam, aber so, als ginge es mich nichts an. Leer ist mein Kopf.
    An den Wänden tanzen die Schatten der Blätter. Kuriko-Ki, hilf mir! Es wird etwas weh tun…
    Mühsam ziehe ich mich an der Kommode hoch. Meine Knie, meine Arme gehorchen mir nicht mehr. Endlich stehe ich auf den Füßen, trete langsam und schwankend auf das Bett zu. So, jetzt liege ich wieder. Ich schiebe das Kissen unter meinen Rücken, spreize die Beine. Ich fahre mit der Daumenkuppe über die Nadel. Dann nehme ich sie in die rechte Hand, packe sie wie ein Messer. Langsam führe ich die Nadel in meinen Unterleib ein. Anfangs tut es kaum weh. Ich stecke sie weiter hinein. Da – jetzt sticht es! Aber nur, weil ich die Nadel schief halte. Ich

Weitere Kostenlose Bücher