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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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drehe sie behutsam zur anderen Seite; stoße tiefer. Noch tiefer. Mein Herz flattert.
    Wenn ich nur nicht so hastig atmen würde! Ich suche die genaue Stelle, dort, wo das birnenförmige Ding sich rundet. Wie seltsam: Auf einmal bin ich völlig ruhig.
    Ich fühle nichts mehr. Kein Erschrecken, keine Angst, kein Bedauern. Vor meinen Augen entsteht ein Bild: das Bild eines Mädchens. Es hat schwarzes Haar, ein Gesicht wie eine Elfe. Es läuft mit wehenden Ärmeln durch Schuttmassen und Rauch. Es hat solche Angst, das Mädchen, solche Angst um ihren kleinen Bruder.
    Es läuft mit verzweifelter Kraft. Es sieht ihren Bruder auf der Straße gehen. Der Tod wartet auf ihn: genau unter dem Kastanienbaum. Es schreit ganz laut: »Komm zurück, komm zurück!« Er hört es nicht; er geht weiter. Der Baum trägt kein grünes Laub mehr, sondern gelbe Funkenblüten, purpurne Feuerfrüchte und qualmende Blätterwolken. Das Mädchen hört sein Herz durch das Donnern der Hitze. Es weiß, daß es wiedergeboren wird, als Melodie am blauen Himmel, als Sprühregen, als Blumenknospe. Es ruft den Geist des Fuchsweibchens an; es springt in die Flammen. Der kleine Bruder bleibt stehen. Unversehrt. Das Mädchen schwebt durch das Feuer, es verbrennt sich nicht. Die Trennwand ist durchbrochen.
    Es gleitet rund um die Erde, in silbrigem Licht. Es kennt keine Angst mehr, keine Sorgen, keinen Schmerz. Es lebt ewig.
    Ich höre mich ein Wort aussprechen, einen Namen, sanft wie das Klingeln eines Glöckchens.
    »Isami!«
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    Diesen Namen, woher kenne ich ihn? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht habe ich ihn nur erfunden.
    Ich halte die Nadel mit beiden Händen. Ich werde sie jetzt in mein Fleisch drücken, werde ein Loch öffnen, damit ich bluten kann. Die Nadel berührt eine zarte, empfindliche Stelle. Es tut plötzlich sehr weh. Aber ich weiß, wie es ist, wenn lebendiges Fleisch zerrissen wird, wenn es sticht und brennt und pocht… Ich warte nicht mehr länger und stoße zu.
    Schmerz brandet durch jede Faser meines Körpers, wirbelt bis zu den Nieren, bis ans Herz. Ich schreie, mein Körper bäumt sich zuckend auf. Der Schmerz quetscht den letzten Rest Luft aus meinen Lungen. Alles platzt auf, reißt in Fetzen.
    Zum Atmen drehe ich den Kopf zur Seite und schreie noch einmal, lauter. Dann ziehe ich die Nadel heraus. Ich fühle den Schmerz abebben und statt dessen das langsame Pochen des Blutes, das aus meinem Unterleib tropft. Es rieselt warm und klebrig zwischen meine Schenkel, tränkt das Laken mit dunkelroter Feuchtigkeit.
    Ich röchle nur noch schwach, spüre das Nahen des Todes, eine windgetragene Leichtigkeit.
    Ich habe das Gefühl zu schweben. Auch die Dinge im Zimmer haben kein Gewicht mehr. Mit einer Hand könnte ich den Schrank heben. Ich drehe die Augen zum Fenster. Der Kastanienbaum flimmert im weißen Licht. Ich schwebe immer höher, alles wird ruhig und wunderschön. Keine Schmerzen, keine Müdigkeit mehr, nur noch Frieden und Licht. Warte Manuel, gleich komme ich! Eine kleine Weile noch, ein Augenblick der Stille, und ich habe es geschafft…
    Was ist das? Jemand hebt mich hoch, reißt mir die Kleider vom Leib. Ich höre die Stimme meiner Mutter.
    »Heilige Jungfrau, sie hat sich getötet! Sie stirbt, sie verblutet. Ein Arzt muß her, sofort!«
    Motorenlärm. Irgendwo kreischt eine Sirene. Mein Körper wird hin und her geschüttelt. Ich glühe vor Fieber. Der Schmerz kommt und geht, eine steigende Flut. In einem Nebel erscheint ein Mann in weißem Kittel, eine Injektionsspritze in der Hand. Er sagt: »Es ist gleich vorbei.« Der Schmerz löst sich auf wie eine Wolke, überläßt mich einem Schlaf, in dem Wohltat ist und Angst.
    Ich schlage die Augen auf. Anfangs ist alles verschwommen, fast farblos. Ich spüre das Tageslicht mehr, als daß ich es sehe. Dann klärt sich mein Blick. Ich liege in einem kühlen, sauberen Bett. Ich sehe helle Wände, Sonnenschein an der Decke. Über mir schwebt eine Flasche, mit Blut gefüllt. Eine weißgekleidete Frau betrachtet mich aus sanften braunen Augen. Ein ebenfalls weißer Schleier umrahmt ihr Gesicht. Sie streichelt mein Gesicht, drückt ein feuchtes Tuch auf meine Stirn, gibt mir behutsam zu trinken. Mein ganzer Körper tut weh. Die Frau sagt, ich hätte eine Infusion bekommen. Das Medikament beruhige die Entzündung. Sitzt die Nadel noch gut? Zeig mal deinen Arm. Sie betastet ihn vorsichtig.
    »Keine Schmerzen?«
    255
    »Nein.«
    Sie schlägt die Decke zurück und lächelt mich an.
    »Du

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