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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Augen, zog mit dem Finger die Linien meines Gesichts nach, ganz langsam und sehr aufmerksam.
    »Ich glaube, es kommt manchmal vor… daß man ein wenig den Kopf verliert… wenn man die Liebe mit solcher Gewalt erlebt. Du bist so schön…«, 289
    setzte er hinzu.
    »Sei still!« hauchte ich.
    Er schüttelte sein Haar nach vorn, warf es auf meine Schulter. Ich weinte nicht, doch vor meinen Augen schimmerte ein Regenbogen.
    »Ken«, flüsterte ich, »bitte, verlaß mich nie!«
    Seine Lippen bewegten sich; er sprach ganz leise an meinem Ohr. »Vor langer Zeit… vor ganz langer Zeit, als du noch ein kleines Mädchen warst, da gab mir jemand den Auftrag, stets bei dir zu sein.«
    Ein Zittern durchlief mich. Ich krümmte mich in seiner Umarmung, verbarg ihm mein Gesicht, schloß ganz fest die Augen unter seinem Haar, die dunkle Zauberwolke. In meiner Erinnerung flackerte ein Bild auf, das Bild eines Baumes, silbern im Mondlicht leuchtend. Ich sah ein dunkles Haus, und ein Kind am Fenster, das weinend einen Namen flüsterte.
    Es waren die Zeiten, als die Worte noch Zauber Sprüche waren, der Geist geheimnisvolle Kräfte besaß
    und die Worte lebendig wurden.
    Und wie du willst, daß es geschehe,
    so geschieht es auch.
    Ich streifte Kens Haar aus meinem Gesicht, öffnete blinzelnd die Augen. Jetzt wußte ich, wer er war. Wir blickten uns an, ernst und stumm, Einsiedler auf dieser Erde, Geschöpfe aus einer anderen Welt, die sich in dieser Welt gefunden hatten.
    Wir waren unendlich dankbar dafür. Von Atemzug zu Atemzug verstärkte sich dieses Wissen um uns selbst, bis es alle anderen Gefühle überflutete. Ich hatte beide Arme um Ken gelegt und hörte seinen Puls in mir klopfen. Wir streiften unsere Gesichter mit unseren Wangen, unseren Lippen. Jeder gab sein Herz in des anderen Obhut. Dann tauschten wir ein Lächeln und faßten uns an der Hand.
    Miteinander traten wir aus dem Schatten ins blendende Sonnenlicht. Als wir an einem Abfallkorb vorbeigingen, warf ich Charles’ Visitenkarte hinein.
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19. KAPITEL
    W ir gingen in die Halle zurück und holten unsere Taschen. Ken nahm beide, warf sich die Riemen über die Schultern. Gleich neben der Halle befand sich eine Bar, in der es nachmittags ruhig war.
    »Wollen wir dort etwas trinken und ein Sandwich essen?«
    »Gern.«
    In der Bar war es dämmerig und kühl. Ein paar Geschäftsleute saßen um einen Tisch; alle rauchten. Der Qualm stieg wie blauer Nebel über ihre Köpfe empor.
    Wir setzten uns etwas abseits, aßen mit Hühnerfleisch belegte dünne Weißbrotschnitten und tranken Kaffee. Wir saßen Schulter an Schulter, sprachen miteinander, leise, ruhig und heiter. Ken erklärte mir, daß wir von Tokio aus bis zur Hafenstadt Niigata, wo wir die Fähre nach Sado nehmen würden, etwa drei Tage brauchten. Seine Maschine war die kleinste, die auf Autobahnen zugelassen war, und die größte, die in Tokio nachts fahren durfte, allerdings nur auf den Hauptstraßen. Ich hörte zu, nippte an meinem Kaffee, den ich mit viel Milch und Zucker trank. Ich empfand Wohlbefinden und Unbekümmertheit, fühlte mich gleichsam auf mich selbst gestellt und geborgen.
    »Du siehst so glücklich aus«, stellte er plötzlich fest. Ich erwiderte sein Lächeln.
    »Ach, Ken, ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Liebe war in meiner Vorstellung immer mit Schmerzen verbunden. Zwischen uns ist alles ganz anders.
    Ich komme mir vor wie ein Vogel, der zum erstenmal aus dem Nest fliegt. Aber ich habe noch immer ein wenig Angst…«
    »Ja, das hast du. Aber nicht mehr lange.«
    »Ist dir eigentlich klar«, sagte ich, »daß ich jetzt in Japan ohne Geld sitze? Daß ich völlig auf dich angewiesen bin?«
    Er kicherte wie ein Schuljunge.
    »Eine Japanerin fände es schwer verständlich, daß du ohne Kreditkarte unterwegs bist. Hierzulande sind die meisten Männer finanziell unselbständig. Und sogar intelligente Frauen lassen es zu, daß ihre Männer in Geldangelegenheiten völlig unwissend bleiben.«
    Ich erzählte ihm das, was uns Charles über Noriko gesagt hatte. Er nickte amüsiert.
    »Der begreift allmählich, wer bei uns die Moneten verwaltet! In meiner Familie war das nicht anders.«
    »In Europa«, sagte ich, »ist das Geld in den Augen der Frauen noch häufig mit Status, Hierarchie und damit Ungleichheit verbunden. Ich hatte keine Ahnung, was Bruno eigentlich verdiente.«
    »Geld ist ein Symbol der Macht. Manche Männer brauchen das als Ersatz oder Muntermacher. Von Geldangelegenheiten

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