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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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verstehe ich gerade so viel, daß unsere 291
    Gruppe über die Runden kommt. Mich hast du schon, und mein Bankkonto kannst du auch haben.«
    »Wie einfach das alles klingt!«
    »Warum sollen wir es kompliziert machen?«
    Ken gab mir etwas von dem, was in ihm lebendig war; er gab etwas von seiner Freude, von seinem Verständnis, von seinem Wissen, seinem Humor, und vielleicht auch von seiner Traurigkeit.
    »Wie kommt es nur«, fragte ich, »daß du immer nur an mich denkst?«
    »An wen sollte ich sonst denken?«
    An Mitsue. Nein! Er denkt nicht an sie. Und ich muß auch aufhören, an sie zu denken.
    Ich biß mir auf die Lippen. »Ken«, flüsterte ich, »was ist nur, wenn ich dich mal enttäusche?«
    Er lächelte selbstsicher.
    »Dann werde ich es ertragen müssen.«
    Ich sah ihm ins Gesicht. Sein Lächeln erlosch im gleichen Atemzug, da wir noch enger zusammenrückten. Ein paar Leute kamen in die Bar, drängten sich an uns vorbei, setzten sich. Wir ließen uns nicht ablenken. Ich neigte langsam den Kopf, ohne ihn aus den Augen zu lassen, und drückte die Lippen auf seine Schulter. Der Ausdruck, mit dem er mich dann ansah, wurde fast zügellos. Heiser stieß er hervor:
    »Ich möchte dir die Kleider vom Leib reißen. Jetzt. Vor allen Leuten.«
    »Ich wünschte, daß du es tust.«
    Wir starrten uns an, schwach vor Verlangen. Ich schloß die Augen.
    Das Krankenhaus lag ziemlich weit vom Hotel entfernt. Wie stets bewunderte ich Kens gewandte Art zu fahren. Er paßte sich geschmeidig dem dichtesten Verkehr an, glitt durch das Netz von Autos, Kraftwagen und Fußgängern, nahm selbstsicher und gelassen jede Kurve. Seine fließende, ruhige Fahrweise gab mir das Gefühl völliger Sicherheit. Ich trug jetzt den Helm, den er mir gekauft hatte, hielt ihn mit beiden Armen umschlungen. Wir fuhren dahin, unter der schräg hereinfallenden Nachmittagssonne. Die Spiele von Licht und Schatten, von Stein und Glas, von Musik und schillernden Farben berauschten mich. Nun war ich keine Außenseiterin mehr, keine Fremde, sondern ein bewußter Teil dieser pulsierenden Großstadt, deren millionenfacher Herzschlag selbst in dem Boden unter mir zu spüren war.
    Das Krankenhaus, abseits einer breiten Verkehrsstraße, war ein Bau aus den siebziger Jahren. Die funktionelle Halle erinnerte mich an die südfranzösischen Krankenhäuser. Die Stimmung war überraschend ungezwungen; Besucher und Krankenschwestern kamen und gingen, Kinder spielten zwischen Tischen und Stühlen, ältere Leute in altmodischen Schlafröcken schlurften in grünen Plastikpantoffeln vorüber. Der Lift brachte uns in den ersten Stock, zur 292
    Unfallstation. Im Gang fuhren einige Unfallgeschädigte, vorwiegend Männer, in Rollstühlen auf und ab. Ken grüßte, wechselte mit jedem ein paar Worte. Er redete heiter, lachte gelöst, stellte Fragen und hörte sich geduldig die Antworten an.
    »Woher kennst du diese Leute?« fragte ich überrascht.
    »Als Tetsuo operiert wurde, mußte ich ein paar Stunden hier warten. Da habe ich mich ein bißchen mit den Leuten unterhalten.«
    Tetsuo lag in einem Zimmer mit zwei anderen Männern, Arbeiter auf einer Baustelle, die beim Einsturz einer Mauer verletzt worden waren. Der eine trug einen Arm in der Schlinge, der andere hatte eine schwere Rückenverletzung. Auch in diesem Zimmer herrschte die größte Unordnung, alles war altmodisch, aber blitzsauber. Die Betten waren durch Vorhänge getrennt, die jetzt zurückgezogen waren. Tetsuo saß aufrecht in seinen Kissen. Ich erkannte den Jungen wieder, den ich auf der Bühne gesehen hatte, das feine Profil, die schmalen, langbewimperten Augen. Ken überreichte ihm eine Schachtel Rosinenkuchen, die wir in einer nahen Konditorei gekauft hatten. Er fragte Tetsuo, ob er Schmerzen habe. Tetsuo schüttelte den Kopf, nein, nur wenig. Ken setzte sich zu ihm auf den Bettrand, wie ein Vater, der zu seinem kranken Kind spricht. Tetsuo rückte näher an ihn heran, doch nicht zu nahe; er wollte wohl nicht den Eindruck erwecken, er sei schwach.
    Meine Anwesenheit verwirrte ihn; er streifte mich immer wieder mit raschen, scheuen Blicken. Ken sprach zu ihm in seiner lockeren, aufmunternden Art, wobei er die beiden anderen Männer allmählich in die Unterhaltung mit einbezog, bis schließlich alle drei lachten.
    »Tetsuo hat Angst, daß ich Ersatz für ihn suche und ihn nicht mehr in meiner Gruppe will«, sagte Ken zu mir. »Ich habe ihm gesagt, daß wir schön dumm wären, auf ihn zu verzichten. Jetzt ist er

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