Silbermuschel
sehr japanisch, weißt du. Wenn ich die Geduld verliere und andere Leute beleidige, weil mir ihr begriffsstutziges Verhalten auf die Nerven geht, mache ich gern Anspielungen. Ein Japaner würde sich niemals täuschen lassen.
Aber die Auffassungsgabe vieler Gaijins kommt da oft nicht mit. Und das hat kaum etwas mit der Sprache zu tun, sondern mit dem Gefühl. Im Gesicht eines Europäers lese ich wie in einem Spiegel. Es reflektiert, was vor ihm steht, und auch das, was nicht da vorsteht.«
»Ja«, erwiderte ich, »du gibst ihm immer genügend Zeit, so zu tun, als habe er die Anspielung überhört.«
»Ein chinesisches Sprichwort sagt: Laß deinem Gegner stets einen Fluchtweg offen.«
Wir lachten beide. Dann wurde mein Gesicht wieder ernst. Er streckte die Hand aus, streichelte meine Wange.
»Wie gut du beobachtest, Liebste! Die Leute glauben vielleicht, daß du in den Wolken schwebst, aber dir entgeht nichts. Du besitzt die seltene Fähigkeit, das Wesen eines Menschen schnell und treffend zu erkennen. Diese Art zu fühlen lernst du nicht in der Schule, die bringst du dir selber bei. Aber dadurch wirst du empfindlich und verwundbar. Ist es nicht so?«
Ich fühlte, wie meine Lippen zitterten.
»Doch. Aber woher weißt du das?«
»Chérie«, entgegnete er heiter, »nichts entgeht mir, was dich betrifft.«
Ich lehnte den Kopf zurück, während seine Finger mein Gesicht streichelten.
Nicht nur die Liebkosung erregte mich, sondern die Hände selbst, diese zart geformten und doch kräftigen Hände. Nichts Böses konnte mir geschehen, solange diese Hände mich hielten.
»Du bist da, für mich…«, flüsterte ich.
»Ja.«
Ich führte seine Hand, ließ sie über meine Augen und Lippen gleiten. Wir streichelten uns mit den Wimpern, mit den Brauen. Ich umfaßte seinen Nacken mit beiden Händen. Die Serviererinnen, die nichts zu tun hatten, beobachteten uns.
Ken nahm die Rechnung, stand auf und reichte mir die Hand.
»Komm!«
Wir ließen das halbe Essen stehen. Eine Rolltreppe führte direkt in die Hotelhalle. Auf dem Weg zum Lift legte Ken den Arm um mich, trug mich beinahe. Ich hing an seinem Hals, hörte sein Herz durch seinen Pullover schlagen.
295
Im Zimmer brannte nur die Nachttischlampe. Wir streiften unsere Schuhe ab. Ich hörte, wie er die Tür abschloß, wandte mich langsam um. Lautlos trat er auf mich zu. Einige Atemzüge lang sahen wir uns an, dann sank er vor mir auf die Knie, umfaßte meine Beine. Er half mir, Jeans und Slip abzustreifen, ließ sein Gesicht über meinen Leib wandern. Seine Hände liebkosten mich, sein Mund fand den richtigen Punkt, weckte die Empfindungen, den seidigen Wind. Ich spürte einen sanften Schmerz in Beinen, Knien und Schenkeln. In meinen Ohren rauschte das Meer wie in einer Muschel. Er hob das Gesicht, sah mich an; das Meeresrauschen wurde schwächer, verhallte mit einem langen, langsamen Atemlaut. Meine Knie verloren jede Kraft.
Er hatte mich zum Bett getragen, er sagte, ich solle ihn ausziehen. Ich tat es, hastig und ungeschickt, mit zitternden Händen. Sein aufgelöstes Haar bedeckte ganz das Kissen, warm und duftend und lebendig wie er selbst. Er hatte beide Arme um mich geschlungen, wir bewegten uns völlig im Einklang. Sein Körper gehörte mir ganz, er tat alles, was ich wollte. Seine Nachgiebigkeit weckte eine Wildheit in mir, die tief verborgen brannte. Er forderte mich heraus, er entfachte meine Raserei, bis ich fast die Besinnung verlor. Ich stillte meine Begierde an ihm, krallte ihm die Fingernägel in die Schenkel und die Zähne in den Nacken. Er ließ sich alles gefallen und lachte nur, wie über eine Kinderei, ging so unglaublich sanft mit mir um, daß ich bestürzt war. Ich spürte seine Leidenschaft und wie er sie beherrschte, wie er sein Verlangen so lange hinausschob, bis ich mit den Fäusten auf seinen Schultern hämmerte, ihn anfiel wie ein Tier. Dann erstickte er meinen Schrei mit seinem Mund. Die Erfüllung kam, zuerst schwer auszuhalten, fast unerträglich, dann umgewandelt in herangleitende Wogen unbeschreiblicher Süße.
Wir schlossen aus Angst, geblendet zu werden, die Augen, schauten nach innen, während das Feuer in unseren Lenden pochte, machtvoll und sanft zugleich; so unmittelbar war der Druck dieses Fühlens, daß es innen in unserem Rückgrat hätte sein können. Und gemeinsam erreichten wir einen Punkt, an dem die Zeit aufhörte und wir nichts mehr wahrnahmen als uns selbst, bis die Glut aus uns hervorbrach, ein aufflackerndes
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