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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Augen glänzen, sogar ihre Farbe verändert sich. Deine ganze Wildheit kommt zum Vorschein. Auf diesen Augenblick warte ich; je stärker ich diese Aggressionen aus dir herauslocke, um so intensiver findest du zu dir selbst zurück.
    Und wenn ich dabei ein paar Kratzer erwische, nun, darauf kommt es überhaupt nicht an. Im Gegenteil, ich kann mir nichts Besseres wünschen.«
    Er legte seine Hand auf meinen Kopf, drückte seine Lippen an meine Schläfe.
    Ich lag matt und schwer in seinen Armen, zog die Wärme und Intensität seiner Gefühle ein wie eine Verdurstende. Mein Puls schlug immer heftiger, ich kämpfte gegen die Tränen, als wären sie etwas Widernatürliches. Du wolltest ihn etwas Wichtiges fragen, sprach ich zu mir selbst. Denk jetzt daran, konzentriere dich darauf. Die Frage stieg immer wieder in mir hoch, ich konnte sie nicht aus meinem Sinn verbannen, sie erfüllte meine Seele, mein Herz, jede Faser meines Körpers.
    Ich muß es wissen, ich muß es wissen! Doch zuerst nahm ich Kens Hand und preßte sie an meine Wange.
    »Ken, was ist nur mit mir?«
    Sanft streichelte er mein Gesicht, strich mit den Fingerspitzen über meine Lider. Seine Stimme war so nahe, daß sie sich mit dem Pochen meines Blutes vermischte.
    »Liebste, was bedrückt dich? Ich sage es dir noch einmal: Es gibt nichts in dir, worüber du dich schämen solltest.«
    Der Klang seiner Stimme hüllte mich ein wie eine Liebkosung. Ich lag ganz ruhig. Und ich kannte mich gut – wenn ich jetzt nicht davon sprach, würde ich es nie wieder tun.
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    Ich darf keine Angst mehr haben. Er weiß, was in mir vorgeht, und vieles mehr.
    Er wird es mir sagen.
    Meine Spannung ließ nach, wie ein starker Faden, der plötzlich reißt. Ich öffnete die Lippen und sagte es.
    »Diese Dinge, die passieren… wenn ich zu aufgeregt bin… Es ist Hexerei, nicht wahr?«
    Unvermittelt lachte er auf – und wie er lachte! Selbstsicher, entspannt und fast gerührt.
    »Du meine Güte, nein! Ich muß schon sagen, in manchen Belangen steckt die westliche Glaubenswelt noch voller Vorurteile. Sie fürchtet die Kräfte der Natur und des Unterbewußtseins, mißt sie immer noch an Vorurteilen oder mittelalterlichen Moralvorstellungen. Das Böse geschieht nur, weil die Menschen es zulassen. Alles, was wir tun, ist unsere Schuld. Es ist die Auswirkung unserer eigenen Gedanken. Der Teufel sitzt nicht in der Hölle, sondern im Herzen des Menschen.«
    »Aber wie kommt es dann, Ken, daß ich Möbel bewegen kann? Und Spiegel zerschlagen? Das ist doch ganz entsetzlich!«
    »Wie kommst du darauf, diese Dinge als entsetzlich zu bezeichnen? Komm, laß uns mal für ein paar Minuten kindisch werden!«
    Er erhob sich, stellte beide Gläser auf die Platte des Schreibtisches und setzte sich davor. Dann blickte er konzentriert auf das Glas, holte zwei- oder dreimal tief Atem und sagte halblaut einen Spruch vor sich hin. Ein paar Sekunden lang geschah nichts. Auf einmal setzte sich das Glas in Bewegung und rutschte quer über den Tisch.
    »Oh!« staunte ich.
    Ken sah auf und grinste.
    »Siehst du? Das bringe sogar ich fertig. Das Spiel kennen fast alle japanischen Schulkinder. Das hat nichts mit Magie, geschweige denn mit irgendeiner Moral zu tun, sondern einzig mit den natürlichen Fähigkeiten unseres Gehirns. Aber man nennt es oft ›Okkultismus‹; das hängt noch mit dem alten Gedanken der Trennung von Geist und Materie zusammen. Heute kommt die moderne Physik der östlichen Mystik entgegen: Das Universum wird mit einem Gewebe verglichen, einer kosmischen Tapisserie, in der alle Elemente und alle Lebewesen wie Fäden verknüpft sind. Uns Japanern ist diese Denkweise seit jeher vertraut. In frühen Zeiten war das Weben das Vorrecht der Sonnenpriesterinnen, die gleichzeitig unsere ersten Herrscherinnen waren. Das Hin und Her des Schiffchens, das die Form des weiblichen Geschlechts aufweist, wurde mit dem heiligen Schöpfungsakt gleichgesetzt.«
    Er stand auf, machte ein neues Fläschchen auf und füllte die Gläser, wobei er die Ärmel der Yukata mit unbewußter Anmut über die Schultern hob. Dann kam er zurück, mir zulächelnd, und reichte mir das Glas.
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    »Um die Vielseitigkeit natürlicher und menschlicher Phänomene auszudrücken, verwenden wir den Begriff Ki. Es handelt sich um eine Vorstellung chinesischen Ursprungs. Das Ki ist das unsichtbare, energieerzeugende Fluidum, welches das Universum belebt. Es durchzieht die Gewässer, die Erde, den Himmel sowie alles, was ist,

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