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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Strahlenbündel. Sie wehte über uns hinweg, löste sich auf in ein jähes Schwindelgefühl. Langsam, ganz langsam verließ uns das Gefühl des Schwebens über dem eigenen Körper. Wir lagen Wange an Wange, zitternd, naßgeschwitzt, noch immer miteinander verbunden.
    »Sage, daß es immer so sein wird. Sage es! «
    Meine Stimme klang wie die einer Fremden, schwach und rauh. Seine Wimpern schlugen an meiner Schläfe. Er öffnete die Augen. Wir betrachteten unsere Gesichter im Schein der Nachttischlampe.
    »Ja«, sagte er. »Es wird bleiben, ewig.«
    »Versprich es.«
    »Ich lebe in dir«, sagte er.
    Wir gingen ins Bad. Fliesen unter unseren Füßen, ringsum Spiegel, Nickel, 296
    alles blank und kühl. Ken wusch mich, wie er es immer tat, wickelte mich in das weiße Frotteelaken und trocknete mich ab. Im hellen Licht sah ich auf seinem Körper die Spuren meiner Nägel und Zähne, und ich erschrak.
    »Verzeih mir! Ich verliere den Verstand, wenn ich dich liebe.«
    Er schüttelte sein nasses Haar und lachte.
    »Ich auch.«
    »Nein, nicht so wie ich. Ich tu’ dir weh.«
    »Das brauchst du.«
    Ich war betroffen.
    »Wie meinst du das?«
    »Komm, leg dich wieder hin«, sagte er. »Ich will dich in meinen Armen halten, während ich es dir erkläre.«
    Ich kroch in das Bett, legte meinen Körper auf das Laken, auf dem er gelegen hatte. Er zog die Yukata an, die – wie in jedem Hotelzimmer – für die Gäste bereitlag. Dann öffnete er die Minibar, entkapselte eine Flasche und goß ein Glas voll, das er mir reichte. Ich richtete mich auf den Ellbogen auf.
    »Was ist das?«
    »Carupisu. Es wird aus saurer Milch hergestellt. Probier mal!«
    Ich nippte an dem kalten Getränk.
    »Schmeckt gut«, sagte ich.
    Er setzte sich neben mich, sein Glas in der einen Hand, während er den anderen Arm um mich legte. Ich suchte seine Schulter, um meinen Kopf in ihre Beuge zu schmiegen. Leise begann er zu sprechen.
    »Es war einmal ein kleines Mädchen mit einer rosa Schleife im Haar. Ein blitzgescheites kleines Mädchen, voller Lebensfreude und Poesie. Was man ihm angetan hatte, gehörte zu dem Schlimmsten, was ein Kind erleben kann. Nicht nur sein Körper, sondern auch seine Seele wurden geschändet. Um zu überleben und nicht den Verstand zu verlieren, baute sich das kleine Mädchen eine eigene Welt auf. Aus dem Kind wurde eine junge Frau, schlafend wie Dornröschen im Märchen. Sie war auf der Flucht vor schrecklichen Erinnerungen, suchte die verlorene Geborgenheit der frühen Kindheit bei Menschen, die ihr nicht helfen konnten. Ihre geistigen Fähigkeiten wurden nicht anerkannt; sie war unsicher, ängstlich, gleichzeitig hart und viel zu nachgiebig. Das kämpferische kleine Mädchen lebte weiter, tief verborgen in einem Winkel ihrer Seele. Aber die junge Frau wollte keine Verbindung zwischen ihr und diesem Kind in der Dunkelheit sehen, überhaupt keine.«
    Ich blieb stumm, fühlte nur seine Atemzüge, roch den vertrauten Duft seiner Haut, gemischt mit dem Duft gebügelter Baumwolle, eine die Sinne aufrührende Frische, die mich noch in der Rückerinnerung besessen machte vor Verlangen. Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und fuhr fort:
    »Zwanzig Jahre später begegnete ihr das Böse aufs neue. Sie wußte, wie 297
    schrecklich es sein würde. Doch sie lief nicht davon. Nur die wenigsten hätten den Mut dazu aufgebracht. Sie bekämpfte ein zweites Mal diesen perversen Zerstörungstrieb, der manche Männer dazu bringt, wehrlose Frauen und Kinder zu vergewaltigen, zu quälen und Wollust dabei zu empfinden…«
    Ich biß mir hart auf die Lippen. Er nahm mir behutsam das Glas aus der Hand, stellte es auf den Nachttisch. Dann umfaßte er mich mit beiden Armen, neigte den Kopf und sprach ganz ruhig an meinem Ohr.
    »Du hast es geschafft, das Böse zu bannen, das kleine Mädchen in dir wieder heimzuholen, jetzt bist du wieder mit dir selbst vereint. Aber das ist nur der Anfang, jahrelang hast du dich selbst und die anderen belogen, dich untergeordnet, die Schwache gespielt. Frauen sind nicht schwach. Nie! Sie glauben es nur, weil man es ihnen einredet, jeder vernünftige Mensch weiß das. Jetzt gilt es für dich, deine Schuldgefühle loszuwerden, deine Aggressionen in Lebenskraft zu verwandeln.«
    »Aber doch nicht, indem ich dir Schmerzen zufüge!«
    Er schüttelte lächelnd den Kopf.
    »Das gehört zu dem, was ich meine. Wenn wir uns lieben, kommt ein Augenblick, wo du dich selbst vergißt. Dann ist es, als ob du Funken sprühst.
    Deine

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