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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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entsprechend überfüllt, aber Franca war Stammgast. Sie brachte nicht selten ein Dutzend Radioleute mit, und Salvatore hatte immer einen Tisch für sie. Franca war schon da. Wir tauschten einen Kuß.
    »Du siehst müde aus«, stellte sie fest.
    »Ich habe schlecht geschlafen.«
    Franca kannte meine Eigenart.
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    »Soll ich dir einen Espresso bestellen?«
    »Gleich, nach dem Essen.«
    Wir studierten die Karte. Salvatore, groß, schwerknochig und kraushaarig, kam mit gezücktem Kugelschreiber an unseren Tisch.
    »Wir nehmen Tagliatelle à la Nonna«, sagte Franca. Sie hatte bemerkt, daß ich der Menükarte nur geringes Interesse schenkte. »Und vielleicht Fegato. Wie ist der Fegato heute, Salvatore?«
    Ich lächelte, während sie in ihrer üblichen französischitalienischen Mischsprache das Menü zusammenstellten.
    »Und dazu einen Valpolicella.«
    Franca gab Salvatore die Karte zurück und zündete sich eine Zigarette an.
    »Rauchst du immer noch?« fragte ich.
    »Ein Laster muß man ja haben. Du schläfst, ich rauche. Sag lieber, wie geht es dir?«
    »Paul hat gekündigt.«
    »Euer Verhältnis?«
    »Nein, seinen Job.«
    »Das kommt aufs gleiche hinaus.«
    Ich biß mir auf die Lippen.
    »Er will mit seinem Boot den Atlantik befahren.«
    »Hoffentlich erleidet er Schiffbruch«, meinte Franca. »Hör zu, Julie. Paul ist das perfekte Spielzeug für eine berufstätige Frau, die am Wochenende gern die Segel hißt – in allen Belangen – und sich keine Zeit für Gefühle nimmt. Er sieht gut aus und ist nicht dumm, aber er ist emotional unterkühlt und hat auch kein Verantwortungsgefühl, außer für sein Schiff. Aber die ›Stella‹ kann er nicht küssen.«
    Ich knetete meine Finger.
    »Ich dachte, ich sei wichtig für ihn.«
    »Und da wundert es dich, daß er geht? Du mit deiner geballten Gefühlsfracht hast ihn ausgesaugt. Männer mögen das nicht.«
    Der Kellner brachte die Tagliatelle, entkorkte den Wein. Franca probierte und nickte zustimmend.
    »Wir sind alle mehr oder weniger verrückt«, fuhr sie fort, während der Kellner die Gläser füllte. »Ich zum Beispiel träume regelmäßig davon, daß ich den Zug verpasse. Deswegen hänge ich mich nicht an einen Mann und dusele auch nicht ein, sobald mir die Welt zuviel wird. Jetzt hör um Himmels willen auf, in deinen Valpolicella zu gähnen, und iß die Tagliatelle, bevor sie kalt werden.«
    »Was soll aus mir werden?« stammelte ich wie ein verstörtes Schulmädchen.
    »Ich weiß, was du brauchst«, sagte Franca. »Tapetenwechsel. In zwei Wochen nehme ich dich mit.«
    »Nach Lugano?«
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    Franca besaß dort eine Ferienwohnung.
    »Nein, nach Tokio.«
    Ich starrte sie an.
    »Was willst du denn in Tokio?«
    »Das Institut für Schweizer Handelsförderung veranstaltet alle drei Jahre eine Messe für Firmen, die in Japan ansässig sind oder eingeführt werden sollen. Die Westschweizer Rundfunk- und Fernsehgesellschaft schickt mich zum zweiten Mal hin. Ich habe inzwischen einige gute Kontakte geknüpft.«
    Mir war es gleichgültig, was sie sagte. Wichtig war nur, was mir plötzlich geschah. Und das war erstaunlich. Ein musselinweicher Schauer rieselte meinen Körper entlang, ein sinnenerregendes, ja geradezu aufwühlendes Prickeln. Voller Verwunderung spürte ich, wie meine Brustwarzen sich unter dem T-Shirt spannten und hart wurden. Meine Hand zitterte etwas, so daß ich die Gabel niederlegte.
    »Wieso kommst du ausgerechnet auf mich? Beim Funk gibt es fähigere Leute.«
    »Aber nicht unbedingt Leute, mit denen ich reisen will.«
    Ich trank einen Schluck Wein, um mir Mut zu machen.
    »Habe ich dir nie erzählt, daß ich Japanologie studieren wollte? Und sogar angefangen hatte, Japanisch zu lernen?«
    »Nein, hast du nicht«, erwiderte Franca. »Du verschweigst mir ja eine ganze Menge. Bei dir weiß man nie, was als nächstes kommt. Du bist nahezu erschreckend intelligent, du könntest Bücher schreiben, in die Forschung gehen, alles. Und was tust du? Nichts. Lebst wie eine Mondsüchtige am hellichten Tag.
    Irgendwann hat man bei dir die Weichen verstellt, und du bist aufs falsche Gleis gekommen. Aber du redest ja nie von dir.«
    »Ich habe nie einen richtigen Beruf erlernt.«
    »Warum hast du dein Studium eigentlich aufgegeben? Wegen Bruno?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nicht nur seinetwegen. Ich glaube, es war nur eine Laune von mir. Ich wollte mich interessant machen.«
    »Vielleicht auch nicht.« Franca zeigte plötzlich mehr Einfühlungsvermögen, als ihr

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