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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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theatralisches Licht setzen. Ganz behutsam würde ich in dieses Leben eintauchen, es langsam und beständig auf mich einwirken lassen.
    Ich durfte nicht zu eilig sein. Sachte, sachte… Ich hatte so viel Zeit jetzt. Eine Begegnung hatte stattgefunden und eine Wandlung. Ich war zu Hause angekommen. Die Reise war zu Ende.
    Auf einmal hörte ich Kens Stimme. Er klatschte in die Hände und rief etwas.
    Sofort rückten die Musiker zusammen und bildeten einen Kreis. Der Trommler, der Yukichi hieß, ergriff seine Schlegel. Die Haltung, die er jetzt einnahm, war eigentümlich: Er kauerte vor dem Instrument, das ganze Körpergewicht auf einem angewinkelten Bein ruhend, das andere Bein weit vorgestreckt. Die Stellung mußte sehr unbequem sein, doch für den jungen Menschen schien sie ebenso natürlich wie das Atmen. Er federte wie ein Tänzer, während er das Knie eindrückte, um das ausgestreckte Bein in den richtigen Winkel zu bringen, bis der Körper einen geschmeidigen, kraftvollen Bogen bildete. Inzwischen stellte sich Eric mit seiner Flöte neben der Trommel auf. Ken zog seinen lockergestrickten Pullover aus, warf ihn auf den Boden. Zu seinen Jeans trug er jetzt nur noch sein ärmelloses T-Shirt.
    Er ging um beide Musiker herum, mit lautlosen Schritten, wobei er ihre Haltung genau kontrollierte. Schließlich nickte er. Die Stille war jetzt vollkommen. Eric, der die Flöte in beiden Händen vor sich hielt, verneigte sich kurz, wie um dem Instrument zu huldigen. Dann neigte er das Gesicht leicht zur Seite und hob die Flöte an die Lippen. Als er das Mundstück anfeuchtete und sich innerlich auf das Spiel vorbereitete, geschah eine seltsame Veränderung mit ihm: Ich entdeckte über Mund, Augen und Nase einige neue Biegungen und Schatten. Oder hatte ich ihn nicht lange genug angesehen? Jedenfalls war eine Gespanntheit auf seinem Gesicht und gleichsam ein geheimes Lächeln. Sekunden vergingen. Beide Musiker wirkten wie erstarrt, vollkommen in Schweigen eingehüllt.
    Yukichi hielt die Arme leicht angewinkelt, die Hände fest um die Schlegel geschlossen. Ken stand dicht vor ihnen, bewegte ganz langsam den schlanken Hals, und sein Haar, der Bewegung folgend, strich über seine Schultern hin und her.
    Ganz plötzlich hob er beide Arme. Mein Atem stockte vor der Anmut, dem fast majestätischen Schwung dieser Bewegung: Es war, als ob er alle unsichtbaren Energieteilchen im Raum mit bloßen Händen ergriff, sie in die Luft schleuderte wie eine Opfergabe. Im selben Augenblick berührte Yukichi mit seinen Schlegeln das Trommelfell. Er schlug nicht mit voller Kraft; die Bewegungen blieben gemessen, verhalten. Sie verursachten ein dumpfes, pulsierendes Summen, das ich selbst im Boden unter mir spüren konnte. Und während der Ton pochte und zitterte, fiel Eric mit der Flöte ein. Seine Finger tanzten über die sieben Löcher des Instruments mit zarter, liebevoller Sicherheit. Behutsam ließ er die Windklänge an-und abschwellen, eine ganz weiche Harmonie, wie ein Kinderlied. Der Widerhall 451
    der Trommel führte die Musik, ließ sie sicherer und lauter erklingen, leitete sie in eine sehnsuchtsvolle Melodie über. Ich merkte, daß Ken es war, der diese Musik formte wie ein Bildhauer sein Werk, wobei er den Eindruck einer völligen Improvisation erweckte. Sein Gesicht war heiter, fast abwesend, das Mitschwingen der Musik war nur in den leichten, sehr knappen Bewegungen seines Körpers zu spüren. Der Klang war von einer Schönheit, die mir weh tat. Nach einer Weile hob Ken wieder beide Arme, kraftvoll, spielend, und die Musik wechselte den Rhythmus; die Trommel schlug lauter, härter, die Flöte glitt in den Diskant hinauf, wo sich von selbst eine schnellere Melodie einstellte. Eric wagte sich einen Ton höher hinauf und zuletzt, als die Trommel noch hastiger pochte, abermals einen Ton höher. Ken gab jetzt den Rhythmus an, indem er einfach in die Hände klatschte. Er vermittelte die Klänge direkt von Körper zu Körper, rief sie zurück und holte sie ein, wenn sie in die Ferne glitten; beide Musiker folgten ihm, emsig, leicht und mit unbeirrbarer Sicherheit, wie in einem veränderten Bewußtseinszustand. Und während ich lauschte, selbstvergessen und völlig gebannt, verwandelte sich die Welt. Ich fühlte eine seltsame Leichtigkeit; ich konnte nicht die leiseste Bewegung spüren, aber es war, als ob ich mich aus meinem Körper löste. Vor meinen Augen blinkte ein ganz zarter Schleier in den Farben des Regenbogens. Es mochten die

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