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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Fragen, die Tetsuo betrafen. Die uns zugewandten Gesichter schienen alle eine leichte Ähnlichkeit zu haben, erst auf den zweiten Blick erkannte ich einige, die ich in Tokio hinter den Kulissen gesehen hatte. Alle redeten durcheinander, schwiegen dann plötzlich, als Ken sprach, rissen die Augen weit auf und lauschten mit feierlicher Miene. Offenbar waren die Nachrichten gut, denn sie wurden sofort wieder heiter, lachten und schwatzten unter sich. Ken strubbelte einem Jungen durch die Haare, gab dem nächsten einen Klaps und scherzte mit den Mädchen, die kichernd die Hand vor den Mund hielten. Der Europäer stand still, den Anflug eines Lächelns auf den Lippen, wobei er sein Körpergewicht befangen von einem Bein auf das andere verlagerte. Ken ging auf ihn zu und umarmte ihn, dann trat er, die Hände auf die Schultern des Jungen legend, um Armeslänge zurück und richtete einige Fragen an ihn. Der Junge nickte oder schüttelte nachdrücklich den Kopf, wobei er sich leicht auf die Lippen biß.
    Ich sah, daß er schüchtern war, denn er errötete, oder richtiger gesagt, sein Gesicht erglühte von innen. Die Musiker umringten beide mit herzlichem Gelächter; sie gaben sich große Mühe, keine Neugierde zu zeigen; mich streiften sie mit raschen, scheuen Blicken. Wenn unsere Augen sich unabsichtlich trafen, glitt eine Steifheit über ihre Züge wie ein Schleier, der sich plötzlich senkt. Und ich drehte sofort den Kopf auf die andere Seite. Es war wegen Mitsue, natürlich. Dieser Gedanke drängte sich von selbst auf. Mitsue gehörte zu ihnen, ich nicht. Ich war eine Fremde, die wegsah, die sich einschüchtern ließ. Eine Schlafwandlerin, die in einer gläsernen Hülle träumte.
    Da Ken mich liebte – und Liebe Hellsicht verleiht –, vergaß er zu keinem Zeitpunkt, wie verletzlich ich war. Stets suchte er mein Bild mit den Augen der Seele, und nichts entging diesem wissenden Blick. Jene Hülle, hinter der ich mich verschanzte, bestand für ihn nicht. Glück, Schmerz, Herzklopfen: Er fühlte, was ich fühlte. Er wußte, daß ich zuwenig Abstand zu mir selbst hatte, daß mir der Pulsschlag der Freude fehlte. Daß mein Herz die Schlupfwinkel des Schweigens suchte, jene Melancholie, die ins Nichts führt. Er merkte, wenn die Schatten kamen, und nahm alles Quälende von mir.
    Und so auch jetzt: In völliger Unbefangenheit reichte er mir die Hand, führte mich in die Mitte der Gruppe und sprach locker ein paar Sätze. Alle nickten mir eifrig zu, stießen Laute in den verschiedensten Abstufungen von Überraschung aus.
    Sie blinzelten, verzogen die Stirn, ihr Mienenspiel war fast parodistisch. Ein Mädchen rief: »Sugoi!« und schlug sich mit der Hand auf den Mund, worauf von allen Seiten Gelächter ausbrach. Mir kam die abgedroschene Redensart über die japanische Reserviertheit in den Sinn, so daß ich unwillkürlich mitlachte. Ken rieb sich amüsiert den Nacken.
    »Ich habe ihnen gesagt, daß du aus Frankreich kommst, daß es dich nach Sado verschlagen hat und daß du nicht unglücklich darüber bist.«
    »Nein, das bin ich nicht.«
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    Der Bann war gebrochen; die ganze Gruppe musterte mich jetzt ohne Scheu.
    Ich spürte, daß sich zwischen ihnen und mir etwas geöffnet hatte. Ihre Unbefangenheit verriet es. Alle waren älter als zwanzig; aber diese Mischung aus Übermut und Zurückhaltung, mit der sie sprachen, lachten und sich bewegten, ließ sie jünger erscheinen. Sie trugen hautenge Jeans oder Boxershorts und lose TShirts. Auf ihren aufgesprungenen Lippen lag noch ein Widerschein der Kindheit.
    Diese flinken, beweglichen Geschöpfe hatten etwas Transparentes an sich, eine Klarheit in den Augen, einen warmen Schimmer. Sie hatten noch Vertrauen, waren weder abgebrüht noch verwirrt. Vielleicht lag es an diesem Dorf, an der Weite des Himmels und des Meeres. Vielleicht auch an der Musik.
    Ein junger Mann, ziemlich klein und von der Sonne ganz dunkel gebräunt, kam durch den Saal auf uns zu. Er trug eine Drillichhose und eine Nylonjacke. Er hatte ein rundes Gesicht, einen Bartflaum am Kinn und funkelnde Augen hinter der goldenen Brille.
    »Hirosan leitet die Gruppe in meiner Abwesenheit«, sagte Ken zu mir auf englisch. »Außerdem ist er für die Technik verantwortlich. Er macht das alles viel besser als ich und ist zudem immer höflich.«
    Hirosan verbeugte sich förmlich, wobei er lachend den Kopf hin und her warf, wie um Kens Worte zu widerlegen.
    »Was gibt’s Neues?« fragte Ken.
    »Montreal hat endlich den

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