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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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leben zu können. Aber daraus wurde nichts. Die guten Aufträge verteilten die Lokalkünstler unter sich. Zudem ist eine Frau nach wie vor gut genug, vor der Kamera zu stehen, selten hinter der Kamera.
    Bruno sagte, ich hätte mir da ein teures Hobby ausgesucht. Und er müsse schuften, damit ich es mir leisten könne.«
    Ken grinste.
    »So? Ich für meinen Teil wühle ganz gern in der Erde nach Rüben, wenn ich dafür einen Schatz finde.«
    Er ging, um seine Fotoausrüstung zu holen. Wir setzten uns auf die Tatami-478
    Matte zwischen Kameras, Objektive und Blenden. Ken zeigte mir einige seiner Aufnahmen. Sie waren gut, konnten aber durch gezielte Fotobearbeitung noch an Aussagekraft gewinnen. Ich erklärte ihm das Verfahren, mit dem ich experimentierte. Meine Idee war, mit lichtempfindlichen Emulsionen zu malen.
    Auf diese Weise öffneten sich für Bilder auf normalem Schwarzweiß-Barytpapier, die belichtet und in verschiedenen Bädern entwickelt und fixiert wurden, völlig neue Wege der kreativen Fotografie. Er schenkte mir seine ganze Aufmerksamkeit, anerkannte meine Fähigkeiten rückhaltlos und ohne die geringste Überheblichkeit.
    Und er erzählte mir, daß er oft mit den Arbeiten der Pressefotografen nicht zufrieden war.
    »Wenn ich mit der Gruppe arbeite und den Papierkram am Hals habe, kann ich mich mit der Werbung nur so nebenbei befassen. Und Hiro ist in diesen Dingen nicht ganz auf Draht. Wie wär’s, wenn du das Gebiet übernehmen würdest?«
    Ich fühlte, wie meine Wangen heiß wurden.
    »Ach… Ken! Traust du mir das wirklich zu?«
    »Ich traue dir alles mögliche zu, das weißt du doch.«
    Er lag amüsiert da, das Kinn in die Hände gestützt. Nun wälzte er sich herum und zog mich an seine Brust.
    »Liebste, deine Vergangenheit ist dir vieles schuldig geblieben. Man hat dich stets entmutigt, gebremst, gedrosselt. Ich aber will dich ganz, mit all deinen Fähigkeiten und Gaben.«
    Gleich am nächsten Tag kam ich mit Stativ, Spiegelreflexkamera und verschiedenen Objektiven in die Übungshalle. Während die Musiker übten, schob ich das Kamerastativ so nahe wie möglich an sie heran, probierte verschiedene Einstellungen. Mich faszinierte die überströmende und gleichwohl beherrschte Kraft der jungen Musiker, die Bewegungen ihrer Rücken und Arme und Schenkel, die glatte Haut auf den sehnigen Muskeln, die Eleganz ihrer Profile. Wenn die Mädchen ihre Tänze übten, folgte ich in Zeitlupenaufnahmen dem Spiel ihrer Hände, dem Schaukeln ihrer Haare auf ihren Schultern, die sie hin und her drehten.
    Ich fotografierte die poröse Haut der Trommeln, das rotlackierte Holz, die gußeisernen Nägel und Verzierungen. Die Trommeln stellte ich als Mondsichel dar, als Geisterschiffe, als Brückenbogen zwischen Diesseits und Jenseits.
    Visionen, die ich durch Licht- und Schattenspiele, durch Filter und Doppel- oder Dreifachbeleuchtung zum Ausdruck brachte. Stets jedoch näherte ich mich ihnen mit Ehrfurcht, wie auch Ken es tat. Zu mächtig waren die Trommeln, als daß man ihnen hätte die Achtung verwehren können. Sie hielten den Lebensrhythmus der Menschen gefangen; in ihnen schlug das ursprüngliche Herz, allzeit flüssig wie strömendes Wasser. Die Trommeln waren der Eulenruf, die Stimmen der Bäume, der Erdengesang. Omen, Zeichen, Symbole – ich wußte um sie und glaubte daran.
    Die umherschwebenden Geister zogen mich in ihren Lebensraum, weckten mich mit ihren Stimmen, bezogen mich in das Geheimnis mit ein. Sie schenkten mir 479
    Lust und Schmerz, die wirkten und nachwirkten, wie in der Liebe. Ich war ihnen unendlich dankbar dafür.
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33. KAPITEL
    V ier Tage vor dem Frühlingsfest klingelte frühmorgens das Telefon: Es war Tetsuo, der aus Niigata anrief. Er wollte das Fest nicht verpassen, hatte das Krankenhaus gegen den Willen des Arztes verlassen und einen Freund überredet, ihn mit dem Wagen quer durch den Archipel bis an die Küste zu bringen.
    »Er kommt mit der Fähre«, sagte Ken. »Und ich solle mir keine Sorgen machen, seine Sachen habe er in einen Rucksack gepackt und er könne auf seiner Krücke ganz gut gehen.«
    »Offenbar hat er Sehnsucht nach dir.«
    »Du meinst wohl, nach Nanami?« Ken nannte den Namen eines Mädchens aus der Gruppe, eine Kleine mit Strubbelhaar und einem Grübchen am Kinn. Wir lachten beide, und er setzte hinzu:
    »Na ja, schließlich gibt es auch Ärzte in Ryotsu. Also hole ich ihn um elf mit Hiros Wagen ab. Nanami soll mitkommen, da kann er sich gleich auf sie

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