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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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will keinen Weltschmerz mehr.
    Wenn du den hast, krepierst du. Und selbst wenn du arbeiten willst, ist alles, was du produzierst, nur große Scheiße. Du wirst von innen aufgefressen, verstehst du?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    Es hatte ziemlich lange gedauert, bis er aus sich herauskam. Er hatte etwas Scheues, Mißtrauisches an sich. Er erinnerte mich an einen Hirsch, der durch den Wald streift, immer bereit zum flüchtenden Sprung.
    »Ohne Ken hätte ich mir alles mögliche in die Venen gespritzt. Er hat mir so geholfen, weißt du. Jetzt renne ich mir jeden Tag die Lunge aus dem Leib, um fit zu bleiben. Und mache Musik. Aber ein Gramm Heroin – und er schmeißt mich raus. Mit einem Tritt in den Arsch. Jesus! Das möchte ich nicht erleben. Ken, der ist immer freundlich und nett, und nie ein Wort lauter als das andere. Aber er ist stark, der Kerl. Die beiden Typen, bei denen ich wohnte, die hat er plattgedrückt.
    In dreieinhalb Sekunden.«
    Ich starrte ihn an.
    »Willst du damit sagen, daß er sie verhauen hat?«
    »Nee. Ken tut so was nicht. Er hat die nur angeguckt, einfach so, und gesagt, er habe mit mir zu reden. Und sie sollten inzwischen ihren Namen auf ein paar Wände sprayen und zurückkommen, wenn sie fertig seien. Die haben sich auf der Stelle verpißt.«
    Er lachte, reckte sich im Sonnenschein und sah plötzlich wie ein Zwölfjähriger aus. Soon stand neben ihm und nickte. Sie hatte stets etwas Verschlossenes, Kühles an sich, sprach leise und vernünftig und lächelte selten. Ihre Anmut kam erst heraus, wenn sie tanzte. Dann wurde sie unwirklich, überirdisch. Eine fleischgewordene Melodie. Selbst die Luft, die sie umgab, schien von einem Beben erfüllt, das spürbar war wie ein Flügelschlag.
    »Als ich damals meinen Fuß brach«, erzählte sie, »da verlor ich fast den Verstand. Ich dachte, wenn ich meinen Tanz nicht mehr hätte, dann könnte ich genausogut in die Themse springen. Man kann kaputtgehen, wenn man etwas in sich selbst fühlt und es nicht ausdrücken kann. Vielleicht hat das etwas mit dem Tod zu tun, mit dem Gefühl, daß wir nicht einfach drauflosleben können. Wir alle tragen dieses Sehnen nach etwas anderem in uns. Viele betrügen sich mit Illusionen. Aber Tanz und Musik, wer das hat, der kann vieles auf sich nehmen.
    Ich wollte nicht sterben, ich wollte tanzen. So habe ich es überstanden.«
    477
    Eine Zeitlang hatte mich die Wiederentdeckung meiner selbst überwältigt und erschöpft. Durch die seelische Sicherheit, die Ken mir gab, war ich zu neuem Leben aufgewacht. Und auf dieselbe Weise wie mein Körper erwachte auch mein Geist; allmählich kam ich wieder zum Denken. Immer stärker packte mich die Lust, die Bilder und Stimmungen, von denen ich mich bezaubern ließ, einzufangen und festzuhalten.
    »Ich würde die Musiker so gern fotografieren«, sagte ich eines Abends zu Ken.
    »In der Halle, während der Proben. Und auch, wenn sie draußen üben. Glaubst du, daß sie etwas dagegen hätten?«
    »Im Gegenteil«, erwiderte er. »Die wären sogar mächtig stolz! Gute Pressefotos können wir immer gebrauchen. Ich denke da an einen Bildband, den wir nach den Konzerten verkaufen könnten, mit einer CD in einem Schuber.«
    Ich war begeistert von der Idee. Ken kniff ein Auge zu.
    »Als Geschäftsmann denke ich an solche Dinge. Wie fotografierst du?
    Schwarzweiß oder farbig?«
    »Beides. Am liebsten Schwarzweiß, mit einem besonderen chemischen Verfahren. Leider fehlt mir eine Dunkelkammer, wo ich die Filme entwickeln könnte.«
    »Warum richtest du dir keine ein? Der kleine Raum hinter dem Badezimmer wäre doch genau richtig. Wir lassen Handwerker kommen, die Wasserleitung verlängern und eine Ventilation einbauen. Und ich besitze eine ganze Fotoausrüstung, die ich dir geben kann.«
    »Wie einfach das alles bei dir klingt!« seufzte ich. »Mit Bruno hatte ich wochenlang Streß, bevor ich mich endlich durchsetzen konnte. Er sagte immer wieder, ich solle doch die Filme von Profis entwickeln lassen. Mir traute er das nicht zu.«
    »Du warst doch Mitarbeiterin bei einer Zeitung. Und wurden deine Bilder denn nicht ausgestellt?«
    »Es waren Porträts von Opernsängern, Schauspielern und Musikern«, erwiderte ich, erstaunt über den bitteren Ton meiner Stimme. »Ich hatte die porträtierten Personen in ihrem spezifischen Umfeld – vor und hinter der Bühne –
    aufgenommen. Von der Kritik wurde das sehr gelobt. Ich hoffte, mir als Fotografin einen Namen zu machen und von dem Beruf

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