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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mich gerichtet: ein langer, dunkler Blick. Dann streckte er beide Arme aus, wie ein Vater, der ein Kind aus der Umarmung seiner Mutter löst und an sich zieht. Sie schloß die Augen, stieß keuchend den Atem aus: Es klang wie ein unterdrücktes Schluchzen. Jetzt, als sie ihren heißen Körper von dem meinen gelöst hatte, empfand ich eine plötzliche Kühle. Ich sah, wie er sie in den Armen hielt, wie er mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht strich, ihre Schläfen, ihre Wangen und Lider streichelte. So liebkoste er auch mich, so und nicht anders.
    Sie legte ihr Kinn auf seine Schulter und schlang beide Arme um ihn. Ihre Augen waren matt und feucht, ihre verklebten Wimpern zuckten. Nach einer Weile drehte sie langsam das Gesicht zu ihm hin, schmiegte ihre Wange an die seine. Ihre Lippen suchten seinen Mund. Ich fühlte, wie er von ihr erregt wurde, unwillkürlich die Lippen öffnete, ihren Kuß erwiderte. Ich rührte mich nicht, sagte kein Wort.
    Was hätte ich auch sagen können? Eine Weile war mir alles ganz unwirklich vorgekommen; jetzt wurde ich plötzlich wach, entsetzt über das, was ich ausgelöst hatte. Es ist Zeit, dachte ich, noch ist es Zeit. Die Worte waren noch nicht ganz verblaßt, sie hingen irgendwo zwischen uns, ich konnte sie zurücknehmen, schnell, schnell – bevor es zu spät war, bevor die Welt in Stücke zerbrach. Doch ich brachte keinen Ton heraus; meine Augen starrten nur hin, warteten auf die Feuerprobe.
    Ich sah, wie er sie küßte, wie sie die Hände hinter seinem Rücken verschränkte, ihre zarte Brust an seinen Oberkörper preßte. Er umschlang ihren Nacken mit beiden Armen, sein Haar fiel über seine Schultern, eine geschmeidige Fülle, während er sich langsam auf dem Futon ausstreckte und sie auf sich zog. Ich schloß die Augen, erkannte aber sofort die Unmöglichkeit, nicht hinzusehen. Denn selbst, wenn ich die Augen schloß, sah ich die gleichen Bilder. Wie lange küßte er sie jetzt schon? Einen Augenblick? Eine ganze Ewigkeit? Ich fieberte vor Verlangen, einem Verlangen, das alles andere übertraf. Ich wollte, daß er sie entkleidete, daß er sie liebte, mit den Lippen und mit den Händen und mit seinem ganzen Körper, hier, in meiner Gegenwart. Das alles wollte ich – und wußte gleichzeitig, daß ich es nicht ertragen würde.
    Plötzlich war ich wie von Sinnen. Alles wurde gewaltsam zerrissen, zum 487
    Einsturz gebracht. Eine Leidenschaft, glühend bis zur Selbstzerstörung. Zuerst war da nur ein Herzpochen, ein taubes Gefühl, eine Benommenheit. Und dann – ganz plötzlich – spürte ich die Angst. Sie saugte mich auf, von innen. Mir war, als sollte ich nie mehr atmen, nie mehr fühlen, nie mehr denken. Ich streckte mich flach auf dem Futon aus, preßte beide Hände auf die schmerzenden Augen. Die Bilder verschwanden. Flecken wirbelten auf, als hätten sie dahinter gewartet. Du hattest von Liebe gesprochen. Ich hörte dich, aber was sagtest du wirklich? Wenn Liebe für dich etwas anderes ist als für mich, dann mache es jetzt mit ihr. Vielleicht kann ich es aushalten. Du schuldest mir nichts. Ich habe deine Seele und dein Gefühl gefesselt, durch dich habe ich zu leben gelernt. Wegen alldem, was du mir gegeben hast, gebe ich dir Mitsue zurück. Sie ist tausendmal schöner als ich, sie ist jung, unverbraucht und ganz bezaubernd. Ich bin zerstört und abstoßend, und ich habe auch zuviel Angst. Deswegen ist sie ja hier, Mitsue: Sie will dich und weiß, daß sie dich von mir fordern kann. Du liebst sie nicht wirklich, du liebst nur ihre Jugend, ihre Unbekümmertheit und Anhänglichkeit. Du hast Spaß an dem Mädchen, warum auch nicht? Sie hat mir ja auch gefallen. Und sie drängt sich nicht einmal auf.
    Dunkelheit stieg auf, wie Schlamm aus einem Wasserloch. Ich tauchte hinein, wurde unsichtbar, zog ein dichtes Tuch über jede Wahrnehmung. So ging auch der Schmerz unter, er berührte mich nicht mehr, er machte einen Bogen um mich. Die schwarzen Flecken waren jetzt nur noch Punkte, wie Stecknadeln. Eine letzte Anstrengung noch und ich würde wie früher sein. Empfindungslos. Ausgeglüht.
    Versteinert.
    Ein Luftzug berührte mich. Eine Hand hielt mich fest, an der Schwelle der Bewußtlosigkeit. Ich fühlte ein Gesicht, das über mich wanderte. Einen Atemzug lang war mir, als ob Zeit und Raum still stünden. In meinen Ohren rauschte und pochte das Blut. Die schwarzen Punkte zerteilten sich. Die Dunkelheit wich.
    Schwer stöhnend tauchte ich aus der Finsternis empor, griff mit

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