Silbermuschel
beiden Händen nach ihm, betastete sein Gesicht, wühlte in seinen Haaren. Meine Wangen überzogen sich mit Wärme, ich öffnete die Augen, erwachte auf seinem Mund.
»Bist du wieder schläfrig?« flüsterte er. »Das sollst du nicht sein. Ore omae ga sukida, das weißt du doch.«
Er verscheuchte die Schatten. Ich erkannte ihn wieder, unverändert. Ihm lag nichts an dem, was Mitsue von ihm verlangte und ich ihm gewährt hatte. Denn was das Sanfteste an ihm schien, war das Stärkste und Entschlossenste. Er hatte das glühende Eisen in die Hand genommen, ohne sich zu versengen. Hatte er die Versuchung empfunden? Und wenn schon! Er suchte ein anderes Feuer. Für ihn war ich die Schönste, weil er mich so sah; und ich wurde es in seinen Armen, durch ihn. Ich packte ihn an den Schultern, drückte mich an ihn, trank den Geruch seiner Haut, meine Wimpern zitterten unter seinen Atemzügen. Mein Herz schlug in meinen Lippen, lauter als in meiner Brust. Seine Stärke machte mich stark, seine 488
Schwäche bebend. Ich riß den Reißverschluß seines Trainingsanzugs auf, schob meine Arme hinein, umfaßte ihn mit krampfhafter Gier, krallte die Nägel in seine Haut, den ganzen Rücken hinunter, die Hüften entlang. Ich fühlte, wie er erschauerte, doch es war ein Erschauern der Lust, eine bestürzende, verzückte Ekstase. Erschrocken hielt ich mir die Hände vors Gesicht, zitternd am ganzen Körper.
»Mach die Augen auf!« flüsterte er. »Sieh mich an!« Ohne den Blick von mir abzuwenden, löste er langsam die Kordel seines Trainingsanzugs. Er ließ ihn von den bloßen Schultern gleiten, schob ihn über seine Hüften, die Schenkel. Ich starrte auf die roten Striemen, die meine Nägel auf seiner Haut hinterlassen hatten. Er lächelte, hob mich an den Handgelenken hoch, führte meine Finger an diesen Spuren entlang. Er warf sein knisterndes Haar zurück, preßte mich an sich, drückte und rieb meine Hände an seinem Rücken, an seinen Hüften. Er tat es mit voller Absicht, gelassen und völlig schamlos: Er wollte, daß Mitsue es sah. Worte kamen bei ihr nicht an; sie hörte nicht, was er zu ihr sagte, sie hatte nur sich selbst im Kopf. Nun sollte sie das Schweigen hören, ganz bewußt setzte er seinen Körper ein, die Weisheit des Gefühls, die Sprache des Herzens. Er zeigte ihr, wie es sein kann, wenn die Leidenschaft nur ein Ausgangspunkt ist zur nächsten Reise. Wenn die Liebe zum Gebet wird, der Schmerz zur Verzückung, die Hingabe zur Erfüllung.
Vielleicht glaubte sie zu wissen, was es heißt, geliebt zu werden; was Lieben bedeutet, mußte sie erst lernen. Ich mochte hoffen, daß das Wissen jetzt zu ihr kam, hier, in diesem Zimmer. Daß dieser Anfang ein Maß war, das sie brauchen konnte für die Zukunft. Und sich später, Jahre danach, noch erinnern würde, wie er mit ruhigen Händen meine Schärpe löste, mein Gewand auseinanderschlug, es über meine Arme streifte, bis es zerknautscht herunterfiel. Wie er mich an seinen nackten Körper preßte, meinen Atem trank. Wie wir uns umarmten, vor ihren Augen. So wenigstens empfand ich es in diesem Augenblick; so mochte sie es auch empfinden, jählings, als das Gewicht seines Körpers mich schwanken ließ und er mich auf seine Knie zog. Als seine Hände sich auf mein Kreuz legten und jede Bewegung begleiteten wie ein Wiegenlied. Gleichwohl nahm sie das alles nur halb wahr; unser Zusammensein war erfüllt durch Dinge, die außerhalb ihrer selbst lagen. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen, so weit hatte sie nicht gedacht. Sie war scheu und stolz; daß wir sie verletzten, war unvermeidlich. Und es gab nichts, das sie trösten konnte, wenn sie an morgen dachte. Irgendwann ertrug sie es nicht mehr; irgendwann hörte ich ein leises Geräusch, und er hörte es auch. Doch er wandte den Blick nicht dorthin, wo Mitsue ein paar Sekunden zuvor gekauert hatte.
Ich aber sah ihren Schatten hinter die Schiebewand gleiten. Ihr Parfümhauch blieb zurück, einige Atemzüge lang; dann bewegte ihn ein Lufthauch. Die Tür fiel leise ins Schloß. Leichtfüßig und stumm ging sie aus unserem Leben. Er hatte es so herbeigeführt, gelassen und ohne Zaudern, weil es nicht anders ging. Jetzt sank er 489
auf mich nieder. Seine Hände wanderten tiefer, über meine Lenden hinaus. Ich hob die Hüften wie eine Woge, die sich unter dem Frühlingsmond wölbt. Draußen sprang der Motor an. Das Geräusch wurde schwächer, entfernte sich. Eine Weile hörten wir nur noch seinen Atem und meinen Atem und das
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