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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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doch etwas abwesend; meine Gedanken waren bei Ken. Wir teilten ein Geheimnis, das uns für alle Zeiten verband. Eine gemeinsam erlebte Wahrnehmung, eine Krümmung wie der Regenbogen, von dir zu mir. Ich wußte nicht, wie ich diese Erfahrung bezeichnen sollte, mir fehlten einfach die Worte. Ich schluckte und sagte:
    »Ken wird gleich hier sein.«
    »lie – nein«, brummte Kimiko.
    Plötzlich merkte ich, daß es sehr still war, unheimlich still. Der Regen hatte nachgelassen, das leise brennende Feuer im Herd war erloschen.
    »Er hat gesagt, daß er mich holt.«
    »Er kann nicht«, sagte sie ausdruckslos.
    Ich starrte sie an und sah sie nicht. Ein Bild glitt an meinem inneren Auge vorbei; ich ließ es nicht an mein Bewußtsein heran und stellte auch keine Verbindung her zwischen dem Bild und dem, was sie sagte. Etwas war geschehen.
    Etwas, das Kimiko wußte und mir nicht sagen wollte. Sie hatte irgendein Experiment mit mir gemacht; mich gezwungen, eine gewisse Sache zu tun. Und jetzt war etwas dabei geschehen. Etwas, das ich niemals ertragen würde, das Furchtbarste auf der ganzen Welt.
    »Es ist ihm etwas zugestoßen«, schrie ich. »Irgend etwas ist geschehen, und Sie wollen es mir nicht sagen!«
    »Es geht vorüber«, antwortete Kimiko. »Alles wird gut.«
    Meine Lippen öffneten sich, doch sie gaben keinen Laut von sich.
    »Setz dich«, befahl die alte Frau.
    Der Schreck traf mich im selben Atemzug wie ein Stein an der Schläfe. Angst und Schmerz brachten mich fast zur Raserei, der Raum drehte sich vor meinen Augen. Kimiko umfaßte mich mit beiden Armen, hielt mich fest. Sie stützte mich mit einer Kraft, die ich ihr niemals zugetraut hätte. Ich krümmte und drehte mich, befreite mich aus ihrer Umklammerung. Ich mußte zu Ken, jetzt sofort. Ich durfte 543
    keine Sekunde mehr verlieren. Blindlings stolperte ich über die Matten. Ich fühlte, wie ich irgendwo anstieß und fiel auch schon im nächsten Augenblick schwer auf die Knie. Der Schmerz raubte mir fast den Atem. Die Wunde platzte auf; Blut quoll hervor, warm und klebrig. Rote Flecken wirbelten vor meinen Augen. Ich kroch über die Matte, streckte blindlings den Arm aus, tastete nach meinen Schuhen im Vorraum. Und dann hörte ich Schritte draußen, hörte eine Stimme, die etwas sagte. Eine Gestalt zeichnete sich hinter der blinden Scheibe ab. Jemand klopfte gegen die Tür. Mein Herzschlag setzte aus. Ken war da. Jetzt kam er, jetzt kam er wirklich. Alles war nur ein entsetzlicher Alptraum gewesen. Ich schrie:
    »Ken!«, stolperte in den Vorraum, riß die Schiebetür auf. Ein Windstoß wirbelte in den Raum und mit ihm eine Handvoll kleiner Blätter, zusammengerollt wie Schoten.
    Das Gesicht dessen, der geklopft hatte, erschien in dem Spalt, unter der Kapuze eines gelben Ölmantels. Zuerst sah ich ihn nur wie in einem Nebeldunst, dann klarer. Aber ich schaute nicht in sein Gesicht, sondern an ihm vorbei. Das war besser. In diesem Moment wußte ich, daß ich ruhig sein mußte. Ganz ruhig.
    »Eric«, flüsterte ich. »Was ist mit Ken geschehen? Wo ist er?«
    »Im Krankenhaus.« Eric knöpfte seinen Ölmantel auf. »Er hat einen Unfall gehabt.«
    Seine Haare waren klatschnaß und verschwitzt, sein Gesicht gerötet. Ich konnte hören, wie er atmete. Er fuhr mit dem Handrücken über die Nase und setzte hinzu:
    »Hiro wartet unten an der Mole. Er wird dich nach Ryotsu fahren. Aber zuerst muß ich mit dir reden.«
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38. KAPITEL
    M eine Kniescheibe klopfte. Ich knickte zusammen, legte die Hand auf die Wunde. Meine Jeans waren wieder feucht vom Blut und klebten an der Haut. Eric schüttelte seine Gummistiefel von den Füßen.
    »Bist du gefallen? Jetzt gerade? Scheiße, das fehlte auch noch!«
    Ich setzte mich auf die Stufe, die von dem Vorraum in das eigentliche Haus führte.
    »Wie schlimm ist es? Sag es mir, Eric!«
    »Er ist schon wieder in Ordnung. Das soll ich dir als erstes sagen. Er hat mir das nachdrücklich eingepaukt. Also, ich gebe mir Mühe.«
    Hinter mir knarrte leise der Boden. Kimiko. Sie legte den Kopf schräg, machte eine einladende Geste. Eric verbeugte sich ruhig und zwanglos, wie es ein Japaner getan hätte. Er trat auf die Matte, setzte sich auf den niedrigen Tisch. Inzwischen putzte Kimiko die Herdplatte, schürte die Glut und ließ Wasser in einen Kessel laufen. Sie kehrte uns den Rücken zu und stellte keine Fragen. Sie verstand auch nicht, was Eric zu mir sagte. Aber ich nahm an, daß es ihr gleichgültig war. Sie wußte ja bereits

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