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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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hatte ich von solchen Dingen keine Ahnung«, fuhr Eric fort.
    »Inzwischen habe ich allerdings einiges dazugelernt. Ich sage das nicht aus Stolz, sondern bloß, damit du weißt, daß ich nicht nur Bockmist von mir gebe. Viele merken das nicht, aber Ken, der ist nicht wie andere Leute. Seinetwegen bin ich noch am Leben. Sonst wäre ich längst in der Agonie wie mein Bruder. Aids im letzten Stadium. Und ich kann ihm nur den Arm um die Schultern legen und heulen. Manchmal heulen wir dann zusammen, oder er stößt mich weg und sagt, fuck you. Der ist total verseucht, verstehst du? Körperlich und geistig. Keinen Funken Hoffnung mehr, keinen Glauben, nur noch das nackte Entsetzen. Und bei mir war es nur eine Frage der Zeit, und ich wäre den gleichen Weg gegangen. Und Ken – ich weiß, das hört sich verrückt an –, der ist ungefähr so, wie ich mir einen Heiligen vorstelle. Kein Guru mit verklärtem Blick und auch keiner, der sich in einem Rolls chauffieren und den Ring küssen läßt. Nee. Er ist wie eine Quelle des Lichts, ein Mensch, der anderen hilft, wenn sie tief im Dreck sitzen, und sie irgendwie… nach oben zieht. Tja, und Menschen wie Ken, wenn sie eine gewisse Stufe erreicht haben… dann bringen sie seltsame Dinge zustande. Und wenn Ken sich auf eine gewisse Art konzentriert – ich weiß ja nicht, wie er das macht –, da kann er seine Hand in die Flammen halten, und ihm passiert überhaupt nichts dabei.«
    Erics Finger kreiste schneller. Ein sehr feiner, hoher Summton stieg von der Schale auf. Eric zuckte zusammen, zog den Finger zurück.
    »Gomennasai! Also, Ken kniete im Feuerschein. Die Flammen warfen fliegende Schatten auf ihn. Er war mehr als bloß schön: Er glühte golden. Es traf mich wie ein Schlag. Ich kann mir denken, Julie, daß Ken nicht immer genau weiß, was für Gefühle er in einem Menschen erweckt. Oder wahrscheinlicher, er macht sich nichts daraus. Als er mich in seine Gruppe aufnahm, fragte ich ihn, ob ich ihn lieben könne. Er sagte, aber nur auf Distanz, und grinste. Ich habe nichts verloren dabei. Es hat mich sogar weitergebracht. Mein Gefühl für ihn, meine ich. Oder vielmehr das, was daraus geworden ist. Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel«, setzte er dumpf hinzu. »Nicht, daß – «
    »Nein.«
    Eric atmete tief durch.
    »Das wäre mir nämlich nicht recht.«
    »Weiter, Eric. Bitte!«
    »Ja«, sagte er. »Und plötzlich – am Strand –, da war alles still. Tetsuo hatte die Flöte von den Lippen genommen. Nur noch das brennende Stroh knisterte. Und da auf einmal – bewegte sich Ken. Hob ganz langsam den Arm. Löste mit tastenden Fingern seine Uhr… du weißt doch, die Uhr, die er nie abnimmt. Und dann legte er 547
    die Uhr in seine Handfläche, streckte den Arm aus… Ich schwöre, daß er die Hand in das Feuer tauchte. Zuerst nur die Fingerspitzen, dann die Hand und schließlich den ganzen Arm. Und das Feuer ließ ihn unberührt; fast war es, als ob die Flammen sich vor ihm zurückzogen. Ich spinne nicht, Julie, ich habe das mit eigenen Augen gesehen. Das dauerte sicherlich eine ganze Minute, oder sogar zwei. Plötzlich blinzelte Ken. Ich sah genau, wie sich der Schatten der Wimpern auf seiner Wange bewegte. Und im selben Augenblick – das kannst du dir nicht vorstellen –, da lief ein Fuchs über den Strand, geradewegs auf das Feuer zu. Hier im Wald leben ja Füchse; der da mußte vor dem Feuer und dem Lärm Angst bekommen haben. Und dieser Fuchs also, der schlug ein paar Haken, schnellte auf das Feuer zu und flog durch die Flammen wie ein roter Schatten. Dann war er weg: aufgelöst in der Luft. Da schwankte Ken – nur ein klein wenig –, und in dieser Sekunde passierte die Sache mit Tetsuo. Der dachte natürlich auch, Ken sei betrunken, und hatte Angst, daß er sich verbrennen würde. Und weil Tetsuo seinen Gips trägt und nur humpeln kann, da warf er sich von hinten auf Ken, umklammerte ihn mit beiden Armen. Einfach so, in totaler Panik. Ich sah das alles und konnte nichts tun, es ging viel zu schnell. Wenn er sich wenigstens auf irgendeine Weise bemerkbar gemacht hätte, dieser Idiot, aber nein. Und Ken, der ja nicht wissen konnte, was Tetsuo da gerade durch den Kopf ging, verlor das Gleichgewicht und stürzte mit ihm zu Boden. Und Tetsuo wäre in den Flammen gelandet, wenn Ken ihn nicht zurückgerissen hätte. Und dabei fiel er mit der Schulter und dem linken Arm in das Feuer.«
    Meine Nägel bohrten sich tiefer in die Wunde. Es tat ganz furchtbar weh. Das

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