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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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alles.
    Eric stützte die Ellbogen auf den Tisch und rieb sich das Gesicht. Er hatte Ringe unter den Augen. Ich blieb dort sitzen, wo ich war; ich wollte vermeiden, daß Blut aus meiner Wunde auf die Matte tropfte.
    »Eric, ich will endlich wissen…«
    Er legte beide Hände auf den Tisch und starrte darauf.
    »Es ist schwierig, das zu erklären. Eigentlich fing es schon an, als Ken die Ô-
    Daiko schlug. Wir hatten alle viel getrunken, das gehört ja dazu. Auch Ken. Aber Ken ist niemals so benebelt, daß er nicht weiß, was er tut. Nur diesmal war er anders als sonst. Er ging auf die O-Daiko los, als wolle er sie kurz und klein schlagen. Tadashi, der auf dem hinteren Trommelfell den Rhythmus zu verstärken hatte, sagte mir später, er habe jeden Aufprall im Bauch gefühlt. Mir tat schon das bloße Hinsehen weh. Die Japaner amüsierten sich. Da waren auch zwei Amerikaner, und die tauschten Blicke. Der eine sagte zum anderen, hey, der Kerl ist ja stockbesoffen. Und der andere sagte, mit dem sollte man lieber keine Schlägerei haben, der würde einen ja glatt auf den Arsch setzen. Ich dachte, vielleicht ist Ken so überdreht, weil du nicht da bist. Womöglich habt ihr euch verkracht, das hätte ja sein können…«
    Er grinste zerknirscht.
    »Tut mir leid, aber das habe ich wirklich gedacht.«
    Ich blieb stumm. Kimiko kam mit ihrem Tablett. Sie stellte drei Schalen voll grünen Tees auf den Tisch und sah zu mir herüber. Ich schüttelte wortlos den Kopf.
    Kimiko ließ sich auf dem Sitzkissen nieder, suchte sich eine bequeme Stellung und wartete.
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    »Jetzt kriegen wir Sprachprobleme«, seufzte Eric. »Mein Japanisch ist beschissen. Soon und ich sprechen immer nur englisch.«
    Die alte Frau schüttelte den Kopf, genauso, als ob sie ihn verstanden hätte.
    »Trink deinen Tee, Eric.«
    Ihre Stimme klang eigentümlich sanft. Eric nahm die Schale mit beiden Händen und pustete hinein, bevor er einen Schluck trank.
    »Zu heiß«, murmelte er. »Also, bald darauf steckten sie die Taimatsu in Brand.
    Wir machten Musik und alle tanzten. Für mich war das immer der schönste Augenblick. Aber diesmal war ich nervös. Irgend etwas lag in der Luft. Ken gab den Rhythmus an. Er kam niemals aus dem Takt. Daran merkte ich, daß er nicht betrunken war. Keine Spur. Der kann eine ganze Menge vertragen, mit einer Flasche in der Hand herumlaufen. Nichts. Keine Wirkung. Aber er war wie verwandelt. Die Veränderung kam von innen, ohne daß sich auch nur ein Muskel in seinem Gesicht bewegte. Man mußte ihn schon gut kennen, um das zu merken.
    Mir jedenfalls fiel es auf. Aber wenn er nicht betrunken war, was hatte er dann?«
    Eric setzte die Schale an die Lippen, und die Stille vertiefte sich noch. Kimiko saß regungslos da, die Hände flach auf die Schenkel gelegt. Mit leiser Stimme brach ich das Schweigen.
    »Und dann, Eric?«
    »Dann brachten die Priester den Tragschrein zum Heiligtum zurück. Diejenigen von uns, die verkleidet waren, folgten der Prozession. Das war so abgemacht. Die anderen blieben da, um die Instrumente zu verladen. Hiro ging den Wagen holen.
    Am Strand waren nur noch wenig Leute. Die meisten waren mit der Prozession gegangen. Und die Taimatsus waren fast heruntergebrannt. Da war nur noch ein großer Feuerkreis am Boden. Tetsuo saß davor und spielte Flöte, ganz für sich. Die Melodie klang wunderschön, so süß und traurig, daß einem fast die Tränen kamen.
    Nanami kauerte neben ihm, in ihrem weißen Kimono, und umschlang die Knie mit den Armen. Der Mond schimmerte im Meer. Ich weiß nicht, wie ich die Stimmung beschreiben soll. Feierlich wäre wohl der richtige Ausdruck. Und da tat Ken etwas sehr Merkwürdiges…«
    Eric stellte die Schale auf den Tisch und deutete auf Kimiko.
    »Sollte ich ihr nicht übersetzen, was ich sage?«
    »Sie weiß das alles schon«, antwortete ich matt.
    »Wirklich?«
    Der Schmerz in meinem Bein ließ nach. Ich bewegte eine Hand, legte sie über das Knie und strich mit den Nägeln über die Wunde.
    »Was machst du da?« fragte Eric.
    Ich biß die Zähne zusammen.
    »Nichts. Du sagtest, er tat etwas Merkwürdiges…«
    »Auf den ersten Blick jedenfalls. Er ging so nahe an das Feuer heran, daß es ihm fast die Fingerspitzen verbrannte. Und dann kniete er sich aufrecht in den Sand 546
    und rührte sich nicht – lange Zeit.«
    Eric senkte den Blick auf die Schale, ließ den Zeigefinger der rechten Hand über den Rand kreisen. Kimiko beugte sich vor, kniff die Augen zusammen.
    »Früher

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