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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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sich, er habe anderswo zu tun, und zog sich mit einer Verbeugung zurück.
    Ken ließ die Pantoffeln von seinen Füßen gleiten, schlüpfte in Turnschuhe und zeigte uns den Weg. Wir folgten ihm durch die düsteren Gänge. Er ging wie ein Halbwüchsiger, schnell, elastisch und etwas nachlässig, wobei das lange Haar bei jedem Schritt auf und nieder wippte. Franca ging hinter ihm her; ihre Augen folgten den Bewegungen seiner Schultern und Hüften und Schenkel. Dann sah sie mich an und hob anerkennend die Brauen. Ich wich ihrem Blick aus. Der erste Schock hatte einem Gefühl der Verwirrung Platz gemacht.
    Inzwischen stieß Ken die Tür zum Foyer auf. Zuschauer waren noch nicht eingetroffen. Wir setzten uns; die Kellnerin kam hinter der Theke hervor und verbeugte sich.
    »Was trinken Sie?« fragte Ken.
    Franca und ich bestellten Kaffee. Charles wollte lieber ein Bier. Franca zündete eine Zigarette an. Ken nahm einen Aschenbecher vom Nebentisch und stellte ihn vor Franca hin. Sie bot ihm eine Zigarette an, wobei sie in seine Augen schaute. Er schüttelte den Kopf.
    »Danke, ich rauche nicht mehr.«
    »Wie haben Sie das fertiggebracht?« lächelte Franca.
    »Selbstzucht«, erwiderte er leichthin.
    Die Kellnerin stand neben der Kaffeemaschine, ließ die Tassen einlaufen und brachte sie uns. Ich riß die winzige Papierhülle auf, schüttete Milchpulver in die Tasse. Ein kurzes Schweigen folgte, während Franca ihr Tonband einschaltete.
    Ken, der seinen Kaffee schwarz trank, nahm einen Schluck. Als ich den Blick hob, bemerkte ich, daß seine Augen auf mich gerichtet waren.
    »Es tut mir leid«, sagte er, »der Kaffee ist nicht gut.«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Das macht nichts.«
    »Woher sind Sie?« fragte er.
    »Ursprünglich bin ich Französin. Ich stamme aus Arles.«
    »Ach«, sprach er, wie für sich selbst, »l’Arlésienne!«
    Er dehnte das Wort in seiner sanften, kehligen Aussprache. Ich fühlte, wie sich mein Atem beschleunigte.
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Alphonse Daudet, natürlich. Les lettres de mon Moulin. Ich könnte mir die Heldin seiner Erzählung mit Ihrem Profil vorstellen. Obwohl Daudet ja nur ihr Spitzentuch beschreibt.«
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    »Verwechseln Sie das nicht mit Bizets Oper?« mischte sich Charles wichtigtuerisch ein.
    »Wie Sie wissen«, sagte Ken (der genau merkte, daß Charles es nicht wußte),
    »schrieb Daudet seine Erzählung 1866. Bizet inszenierte sie acht Jahre später, wobei er eine Partitur für ein Saxophon einfügte, was damals sehr unüblich war.«
    »Hochinteressant«, murmelte Charles steif, während Ken mich über den Rand der Tasse hinweg, aus der er trank, unbefangen ansah. Sein Lächeln, offen und arglos, schuf zwischen uns eine ganz eigenartige, vertraute Übereinstimmung.
    Wer bist du? Wie hätte ich ahnen können, daß ich dich hier treffen würde? Mir ist, als kenne ich dich schon lange. Oder bilde ich mir das nur ein, wie so vieles?
    Scheu lächelte ich zurück, wandte dann rasch mein Gesicht ab. Inzwischen hatte Franca ihr Tonband eingeschaltet.
    »Darf ich unser Gespräch aufnehmen?«
    Ken lehnte sich bequemer zurück.
    »Selbstverständlich.«
    Franca trank bedächtig einen Schluck. Ihr Lippenstift hinterließ auf dem Tassenrand eine karminrote Spur.
    »Also, fangen wir an. Sind Sie schon lange Berufsmusiker?«
    »Seit etwa zwölf Jahren.«
    »Und vorher?«
    »Da war ich Systemingenieur bei einer Computerfirma.«
    Franca starrte ihn an.
    »Wieso hatten Sie das Bedürfnis, den Beruf zu wechseln?«
    Er zog etwas die Schultern hoch.
    »Nun, wahrscheinlich lag mir das Büroleben nicht.«
    »Wie reagierte denn Ihre Familie?«
    Wieder die gleiche Bewegung.
    »Die schickte sich ins Unvermeidliche.«
    »Dann sind Sie also ein Aussteiger?«
    Ein Zucken der Mundwinkel.
    »Ich nehme an, daß man mich so bezeichnen kann.«
    Francas Stimme klang betont sachlich.
    »Ich gehe davon aus, daß Sie sich schon vorher mit Musik befaßt haben?«
    »Als Student spielte ich Schlagzeug. Und auch ein bißchen Gitarre.«
    »Keinen Musikunterricht oder so?«
    Er trank einen Schluck, wobei er die Frage amüsiert verneinte.
    »Dann sind Sie also ein Autodidakt«, meinte Charles mit gewichtigem Kopfnicken. »Sie hatten ja auch im Ausland Erfolg. Das will doch etwas heißen!«
    Ken lächelte wie über einen Witz. »So? Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht.«
    Seine Augen schweiften zu mir herüber. Ich schwieg, sah sofort weg. Ich spürte 109
    die trockene Kehle, die Atemlosigkeit, den

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