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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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komisch und traf doch irgendwie zu.
    »Hast du in Japan damit keine Schwierigkeiten?«
    »Vermutlich weniger als anderswo. Ein Japaner auf dem Ego-Trip ist durchaus salonfähig. Wenn ein Schauspieler auf der Bühne vom Geist beseelt wird, sagt man, daß er seine Kata – seine Form – sprengt, und spendet kräftig Beifall. Das ist auch dem Durchschnittsmenschen gestattet, wenn er nur dickschädlig genug ist.«
    Die Kellnerin räumte die Teller ab, stellte einen kleinen Spirituskocher auf den Tisch. Fett wurde in einer Pfanne zum Zergehen gebracht. Auf einer großen Schale brachte die Kellnerin dünne Scheiben Rindfleisch, Glasnudeln, Champignons und Gemüse. Dazu gab es Reis und ein Lackschälchen mit einem rohen Ei. Ken wartete, bis das Fett zu brutzeln begann, und legte dann das Fleisch und das Gemüse mit den beigelegten Stäbchen in die Pfanne. Ich beobachtete ihn still; seine Eleganz, seine Ruhe entstammten einer jahrtausendealten Kultur. Sie hatte einen Grad der Mühelosigkeit und Vollendung erreicht, die sich in jeder noch so einfachen Bewegung ausdrückte.
    »Was gibt es an mir?« fragte er. »Warum siehst du mich so an?«
    »Das ist alles nicht wirklich«, sagte ich.
    »Was ist nicht wirklich?«
    »Das Gefühl, daß wir uns kennen, meine ich.«
    »Der Verstand geht aus dem Gefühl hervor«, erwiderte er. »Auch Phantasie und Traum tragen dazu bei, den Menschen zu formen.«
    »In meiner Erinnerung«, sagte ich, »hatte ich stets eine Traumgestalt, die neben mir lebte. Immer, wenn ich an sie dachte, hätte ich weinen mögen. Oder tanzen oder singen, je nachdem. Oder auch sterben und doch leben. Und sogar später, als alles aufhörte, trug ich immer noch diese Sehnsucht in mir…«
    Er antwortete nicht. Ich lächelte unsicher.
    »Findest du das kindisch, was ich sage? Glaubst du, daß ich phantasiere?«
    »Nein.«
    Gelassen fuhr er fort, die Zutaten in die Pfanne zu legen.
    »Du sagst, es habe aufgehört. Wann war das?«
    »Als ich Bruno kennenlernte.«
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    »Bruno?«
    »Meinen Mann. So heißt er. Ich… ich wollte weg von meinen Eltern und zog mit ihm in die Schweiz. Als wir heirateten, da hat es aufgehört. Aber nicht plötzlich. Nach und nach…«
    »Hast du Kinder?«
    Ich schüttelte den Kopf, plötzlich herb und verschlossen.
    »Nein. Und du? Bist du auch verheiratet?«
    »Geschieden. Seit zwölf Jahren schon. Ich habe einen Sohn.«
    »Siehst du ihn oft?«
    »Nein, ziemlich selten. Er ist ein Streber. Das hat er von seiner Mutter. Er wird irgendein Technokrat werden, Rechtsanwalt, Betriebsverwalter oder Bankier. Wir haben uns nicht viel zu sagen. Bist du glücklich mit deinem Mann?«
    »Wir leben getrennt.«
    »Willst du dich nicht von ihm scheiden lassen?«
    Ich senkte den Blick. Hob ihn wieder. Ich merkte, daß meine Stimme trotzig klang.
    »Ich werde nie wieder zu ihm zurückgehen. Nicht als seine Frau. Auch nicht, wenn er der letzte Mann auf Erden wäre.«
    An Kens Augenwinkeln bildeten sich kleine Lachfalten.
    »Offenbar ist er ein Dummkopf! «
    Ich sah zu, wie er die Fleischscheiben wendete, bis beide Seiten gut gebraten waren. Dann schlug er das Ei in das Schälchen, rührte es mit den Eßstäbchen gut um. Er tauchte das gekochte Fleisch und Gemüse in das Ei und reichte mir die Schale.
    »Da, probier mal!«
    Das Fleisch war so zart, daß es auf der Zunge schmolz. Das Gemüse schmeckte knackig und frisch. Ich seufzte glücklich auf.
    »Ich glaube, ich habe etwas Hunger bekommen.«
    »Siehst du!«
    Er gab der Kellnerin ein Zeichen. Sie brachte neuen Sake. Ken füllte meinen Becher.
    »Und wozu bist du in Tokio?«
    Ich trank einen Schluck. Meine Wangen glühten.
    »Ich hatte mich in einen Mann verliebt. Das ging eine Zeitlang gut. Dann trennten wir uns. Seine Schuld war es nicht.«
    »Vielleicht hatte er Angst vor dir?« sagte er gleichmütig.
    Ich drehte den Becher hin und her. Ich spürte, wie ich zitterte.
    »Ich weiß es nicht.«
    Die honigbraunen Augen blinzelten mich an.
    »Ich glaube, er kannte dich nicht sehr gut.«
    Ich schwieg. Beiläufig nahm er das Gespräch wieder auf.
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    »Warst du traurig?«
    »Nicht eigentlich traurig. Wütend. Ich hatte mich bestimmten Vorstellungen überlassen. Alles war falsch gewesen. Eine Illusion.«
    Er nickte.
    »Es kommt häufig vor, daß Wir die Menschen nicht sehen, wie sie sind. Daß wir ihnen ein klügeres Herz zubilligen, als sie besitzen. Und erkennen dann mit Schmerzen, wieviel billiger sie sich selbst geben.«
    Seine Unbefangenheit täuschte; den

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