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Silbermuschel

Silbermuschel

Titel: Silbermuschel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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verstand, was Franca nicht verstehen wollte. Daß es wohl kaum auf der Welt ein Volk gab, das sich dem kritischen Verstand gegenüber so ablehnend verhielt wie die Japaner. Daß sie die Substanz ihrer Persönlichkeit hinter höflichen Formen verbargen, sich auf undurchdringliche Weise gegen die Kälte und Schärfe westlichen Intellekts abschirmten. Sie dachten weniger mit dem Kopf als mit dem Herzen, kommunizierten mehr aus der Sensibilität der Sinne als aus der Rationalität des Denkens. Der quälende Dualismus des Abendlandes lag ihnen fern; sie erkannten rückhaltlos die wechselseitige Abhängigkeit von Leib und Seele an, von Geist und Materie. Das Geheimnis ihrer anderen Lebensart bestand in ihrem Bewußtsein, daß der Mensch ein Teil der Natur ist.
    Franca spürte zwar das Vorhandensein der Räume, die sich da vor ihrem inneren Auge neu auftaten, aber sie weigerte sich, die Schwelle zu überschreiten.
    Sie wollte lieber in ihrer vertrauten Welt bleiben, jener Welt, die ihr Denken und Fühlen unter Glas legte, zum Diskussionsthema machte und die Sachlichkeit wie ein Rotlicht im Gedächtnis brennen ließ. „ Schlagartig war die Nacht hereingebrochen. Sterne flimmerten unter den ziehenden Wolken. Der Wind wehte stärker. Die Bäume flüsterten, das Laub knisterte und rauschte, und hinter den Zweigen tanzte das Lichtermeer der Stadt. Tokio schmückte sich für die Nacht, funkelte und strahlte, dröhnte und vibrierte. Die Sehnsucht in mir wuchs mit jedem Atemzug, bis mir die Brust schmerzte. Denn Tokio war auch ohne Ken eine gänzlich von ihm erfüllte Welt.
    »Um sechs also im Imperial«, sagte Franca. »Am besten, wir nehmen ein Taxi.
    In einer halben Stunde, geht das?«
    Mein Zimmer war aufgeräumt, das Bett frisch gemacht, die Vorhänge zugezogen. Kens Anwesenheit war wie ausgelöscht. Träge wie eine Schlafwandlerin zog ich mich aus, ließ Büstenhalter und Slip zu Boden gleiten.
    Nackt ging ich ins Badezimmer; ich schloß die Augen, streichelte mich, wie er 168
    mich gestreichelt hatte. Ich spürte eine Feuchtigkeit im Mund, ein leichtes, flackerndes Feuer im Rücken und unterhalb des Nabels, und hatte gleich darauf den Eindruck, daß mein Leib sanft nach unten sackte wie ein Stein unter die Wasseroberfläche. Eine Zeitlang versank ich, ließ ich mich tragen. Ich dachte zu stark daran, alles wurde wahr, allzu gegenwärtig, schwindelerregend. Erst nach einer Weile legte sich das Zittern, doch in mir war alles in Aufruhr. Ich duschte, trocknete mich ab, zog frische Wäsche an. Meine Wunde am Halsansatz war gut verheilt. Diesmal verbarg ich sie nicht. Ich wollte sie tragen wie eine Blume. Ich wählte für den Abend eine aprikosenfarbene Seidenbluse mit tiefem Hemdblusenausschnitt. Ich war mir meiner Brüste bewußt, zart und rund, weich gestützt von einem Büstenhalter aus dünner Seide. Dann nahm ich mein karminrotes Wildlederkostüm vom Bügel. Ich trug es selten; meistens kam mir das Rot zu grell, zu aufreizend vor. Heute gefiel es mir. Ich kämmte und schminkte mich, und dann stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mich wie eine Fremde: feingliedrig, schmal, mit kupfernem Haar und klarer Haut, matt wie Elfenbein. Die Wangenknochen waren breit, die Nase zu klein und etwas flach, der Hals lang und beweglich. Alles war sanft geformt, empfindsam; ein Gesicht mit einem Ausdruck, den man zuweilen bei ganz kleinen Kindern bemerkt: eine Art Verklärtheit, in sich geschlossen und behütet, still, scheu und zutraulich. Der geschminkte Mund paßte nicht recht dazu, und auch nicht die Augen, wachsam und glänzend. War ich schön? Ich wußte es nicht. Ich war es längst gewohnt, daß man mich ansah.
    »Inari«, hatte Ken gesagt. Der Name flackerte in meinem Gedächtnis auf. Ich sprach ihn leise aus. Mir war, als wäre dieser Name ein Schlüssel. Aber ich kannte die Bedeutung nicht oder hatte sie vergessen.
    Vielleicht, dachte ich, ist die Welt wirklich ein Raum, in dem die Träume wahr werden.
    In einen größeren Lederbeutel stopfte ich die paar Sachen, die ich brauchte.
    Jetzt nur noch Geld, Paß, Taschentuch. Ein letztes Mal schweiften meine Augen durch das Zimmer. Nichts vergessen? Nein. Ich warf die Tasche über die Schulter, schlüpfte in Ballerinas aus weichgeflochtenem Leder und ging. Die Tür fiel lautlos hinter mir ins Schloß.
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13. KAPITEL
    D as Hotel Imperial Parco, von Scheinwerfern angestrahlt, hing am Nachthimmel wie eine gigantische Glasplatte. Über dem Eingang, flirrend vor Licht, bildeten

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