Silbermuschel
wie du ihn, aber stimme mir bitte nicht das Hohelied der Liebe an. Der bumst mit jeder, das sieht man auf den ersten Blick. Komm gefälligst auf den Boden zurück.«
Sie war beleidigt und wußte genau, wo sie mich treffen konnte. Wo es am meisten weh tat. Die Frau kam mir in den Sinn, die Frau, von der er gesprochen hatte. Bisher hatte ich nicht allzu viele Gedanken an sie verloren. Ich war ganz geschickt in diesen Dingen. Doch plötzlich war sie wieder da, eine verschwommene Gestalt, namenlos und beängstigend. Das Schmerzgefühl, das ich am Abend zuvor verdrängt hatte, zog wieder durch mich hindurch. War er mit ihr so, wie er mit mir war, oder anders? Küßte er sie, wie er mich küßte? Streichelte er ihr auch die Stellen, wo das Blut ganz dicht unter der Haut strömt? Das Innere der Handgelenke? Die Halsader entlang? Bewegte er sich auch in ihr, bis sie stöhnte und verrückt wurde und ihr Herz wie eine Trommel schlug? Hielt er sie im Dunkel an seine Brust gepreßt? Sprach er zu ihr mit leiser Stimme, ein Gemisch aus Zärtlichkeit und Spott?
Ich liebe dich. Ich will dich nicht mit einer anderen teilen. Das müßtest du doch verstehen. Gerade du. Ach Liebster, verzeih mir, wenn ich in Gedanken schäbig und kleinlich werde. Ich weiß doch, du hast mich nicht angelogen. Es wäre Zerstörung, Verrat. Es ginge über meine Kräfte. Nein, ich bin ruhig, ich bin beherrscht. Ich werde keine Szenen machen, keine Ansprüche anmelden. Wozu auch? Du liebst mich. Ich weiß es. Ich glaube an dich. Es gibt viele Arten zu 163
lieben, hast du gesagt.
»Irgendwer hat mal gesagt: Die Menschen tauschen in der Liebe nur ihre Vorzüge aus und hoffen auf ein faires Geschäft.« Franca drückte ihre Zigarette so aus, daß sich der Aschenbecher hin und her drehte.
»Und was nun? Hat er dir schon sayonara gesagt?«
Ich bewegte mühsam die Lippen.
»Er holt mich heute abend im Imperial ab.«
»Vielleicht hast du Glück, und es funkt zwischen euch ein paar Nächte lang«, meinte Franca. »Da fällt mir ein: Michael hat dreimal angerufen und nach dir gefragt. Er wirkte stocksauer. Offenbar hast du ihn fertiggemacht. Auf ziemlich unfaire Art, ließ er durchblicken.«
Ein lähmender Schauer lief mir durch die Kniekehlen. Sei ganz ruhig. Das, was er sucht, ist weg. Er weiß nicht, wo es zu finden ist. Laß dich nicht dazu verleiten, Angst zu haben. Du bist vollkommen in Sicherheit.
»Steh nicht da wie eine Mondsüchtige«, sagte Franca. »Ich kann mir nicht vorstellen, was zwischen euch schiefgegangen ist, aber er machte einen sehr reizbaren Eindruck. Vielleicht solltest du mit ihm ein paar Worte reden.«
Ich schwieg weiter. Franca nahm ihre Handtasche und zog sich aus dem Sessel empor.
»Also gut, ich mische mich da nicht ein. Das ist eine komische Sache zwischen dir und den Männern. Zuerst sind sie Feuer und Flamme, dann bricht die große Panik aus. Paß nur auf, dein Japaner läuft dir auch bald davon. Immerhin hättest du Michael klaren Wein einschenken sollen.«
Wir machten uns auf den Weg ins Studio. Nur ein paar Schritte, hatte Franca gesagt. Draußen empfing uns der warme, blaue Nachmittag. Kleine Flaumwölkchen wehten am Himmel, vom Wind getragen. Franca hatte ihrem Ärger Luft gemacht und war wieder ganz sachlich.
»Der Wetterbericht hat Regen angesagt. Bis jetzt hatten wir ja Glück. Und in zwei Tagen sind wir wieder in der Schweiz.«
Ich gehe nicht in die Schweiz zurück. Ich bleibe bei dir. Ich kann nichts dafür, ich bin krank geworden. Krank aus Liebe zu diesem Land. Krank aus Liebe zu dir.
Unmöglich, dich zu verlassen. Ich will dich täglich vor Augen haben. In deinen Armen schlafen, jede Nacht. Dich küssen, dich in mir spüren. Ich träumte von dir schon seit ewig. Jetzt habe ich dich gefunden. Und ich bin so glücklich, obwohl mir die Tränen kommen. Du bist das Licht, ein so kostbar gewordenes, daß alles Dunkle sich auflöst, du bist der weite Himmel, das Meer, unvergleichlich. Du bist die schwingende Glocke im Tempelgarten, die Trommel, die die Erde weckt. Du bist meine vollkommene Liebe.
»Jeder erlebt das mal.« Franca hielt mich am Ärmel fest. »Aber das ist kein Grund, bei Rotlicht über die Straße zu rennen. Und was erzähle ich Bruno, wenn du in Tokio überfahren wirst?«
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»Ich werde mich von ihm scheiden lassen.«
»Und was dann?« fragte Franca.
Das Aufnahmestudio befand sich in einem Hochhaus im dreizehnten Stock.
Wir traten aus dem Aufzug, kamen durch eine Glastür. Dahinter saß
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