Silberne Sterne über Montana
Trennungsschmerz, den Eltern empfinden, wenn ihnen klar wird, dass die Zeiten sich geändert haben und das Kind jetzt erwachsen ist und Eigenverantwortung übernommen hat.
"Ich weiß das, Tana", sagte sie etwas traurig. "Ich wusste das von dem Augenblick an, in dem du beschlossen hast zu bleiben.
Solange es nur einen Mitchell auf dieser Ranch gibt, werden wir die Wölfe von hier fern halten." Sie ließ den Blick zu Cody schweifen. "Und zusammen mit Douglas sind wir geradezu unbesiegbar."
Cody drehte sich ungeschickt in seinem Stuhl um, räusperte sich, räumte geräuschvoll das Geschirr zusammen und brachte es dann zur Spüle.
"Oh, stopp." Hazel trieb ihn aus dem Raum, indem sie mit ihrer Schürze wedelte, und bedachte Tana dabei mit einem viel sagenden Blick. "Ihr beide kümmert euch um das Feuer im Wohnzimmer, während ich hier sauber mache: Danach setzen wir uns wieder zusammen und trinken einen Brandy wie die Leute in der Stadt."
"Brandy?" Cody zog die Brauen hoch. "Du hast Brandy?"
"Für besondere Gelegenheiten", sagte Hazel streng, dann wurden ihre Gesichtszüge wieder weich. "Und für besondere Freunde. Also los nun."
Tana setzte sich, die Beine übereinander geschlagen, auf die Couch und beobachtete, wie Cody vor dem Herd niederkniete und Holz pyramidenförmig aufstapelte. "Wenn du wissen willst, ob ein Mann ein richtiger Cowboy ist, fordere ihn auf, Feuerholz aufzuschichten", sagte sie plötzlich. "Das hat jedenfalls immer mein Vater gesagt."
"Hat dein Vater so angefangen? Als Cowboy?"
"Bevor ich geboren wurde", sagte Tana gedankenverloren und blickte starr in die Flammen. "Nur unterschied er sich etwas von den Leuten, mit denen er ritt."
"In welcher Weise?"
"Er hatte einen Traum." Tana seufzte. "Einen großen Traum -
für einen Cowboy. Er wollte Land besitzen. Nachdem er meine Mutter geheiratet hatte, arbeitete er als Zureiter beim Rodeo für Sonderhonorar und hatte schließlich genug verdient -
mittlerweile war ich acht Jahre alt -, um eine Anzahlung für diese Ranch zu leisten."
"Das ist in der Tat eine Leistung", murmelte Cody.
Tana nickte schweigend. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, als Cody den Kopf zu ihr drehte. Sie blickte weiterhin unverwandt ins Feuer, das gelbe Funken in ihre tiefbraunen Augen zauberte und sie wachsam, fast wild erscheinen ließ, obwohl sie gänzlich entspannt war.
"Woran denkst du?" fragte Cody ruhig.
Tana blinzelte, registrierte die Frage aber trotz ihrer Gedankenversunkenheit und konzentrierte sich dann auf den Schattenriss des Mannes, den das Feuer zeichnete.
"Ich habe gerade an das erste Jahr hier gedacht, als meine Mutter gestorben ist."
Codys Gesicht lag im Schatten. Sie brauchte es jedoch nicht zu sehen, um sein Mitgefühl zu spüren.
"Deine Mutter ist hier gestorben?"
Sie nickte kurz und empfand etwas von der alten Bitterkeit.
"Es wäre nicht geschehen, wäre das Krankenhaus näher gewesen."
"Ah", sagte er leise und signalisierte damit mehr Verständnis, als irgendwelche Mitleidsbezeugungen es auszudrücken vermocht hätten. Und sie hatte das Gefühl, dass er genau wusste, warum sie von hier weggegangen war und wie ernsthaft und wie lange sie den Bergen die Schuld am Tod ihrer Mutter gegeben hatte - und jetzt kürzlich erst an dem ihres Vaters. Und jetzt, wie von Zauberhand, war in der vergangenen Woche die Bitterkeit ein wenig verschwunden. Zu bemerken, dass sie die Ranch nicht mehr bloß als einen Ort betrachtete, der ihre Eltern getötet hatte, überraschte sie. Sie war vielmehr auf dem besten Weg, ihn wieder als Heimat anzusehen.
Ein leichtes Lächeln auf den Lippen, sah sie sich in dem großen, schummrigen Raum um und nahm dabei alle Einzelheiten auf, die typisch für ein Ranchhaus waren: den weitläufigen, mit Holzbohlen ausgelegten Flur, dem Stiefelabsätze ebenso wenig etwas anhaben konnten wie Zeit und ständiger Gebrauch, die großen Teppiche und die massiven Ledermöbel. Alles war so haltbar und zeitlos wie nur möglich.
Die Gestaltung des Raums konnte aus dem neunzehnten oder dem zwanzigsten Jahrhundert sein - die Dinge hatten sich so wenig verändert, gehörten aber ausschließlich hierher, in den Schutz von Montanas Bergen. An den einzigen Ort, wo die Zeit still zu stehen schien. Sie ließ den Blick zu Cody schweifen, als er aufstand und zu einem großen Sessel links von der Couch ging. Sogar er schien Teil des Ganzen zu sein. Er war genauso gekleidet wie die Cowboys vor hundert Jahren: verblichene
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