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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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die eigentliche Grabbepflanzung, schienen die Gräber und die darin bestatteten Toten zu beschützen. Auf Kristíns Grab lag eine erstarrte Rose. Die Kälte hatte die zarten dunkelroten Blätter mit einem frostigen Hauch überzogen. Rúna und Heiðar legten je eine hellrote Rose daneben. „Ist die von deinem Vater?“, fragte sie leise. „Ja. Er legt jede Nacht eine rote Rose auf ihr Grab und hält dann Wache bis der Morgen graut.“ Rúna fühlte, wie ihre Augen zu schwimmen begannen. „Er muss sie sehr lieben.“ Heiðar drückte ihre Hand. „So wie ich dich liebe.“

    Er kauerte sich vor die Grabstätte und legte fürsorglich eine Hand auf die erfrorene Rollrasendecke, die Fionn über die klebrige Erde gebreitet hatte. „Siehst du Mama, ich hab’s endlich geschafft, Rúna von meinem Geheimnis zu erzählen. Sie wird bei mir bleiben, trotz allem. Wir sind nun liebende Gefährten. Ich war noch nie so glücklich, Mama. Schade, dass du nicht hier sein kannst, um unser Glück zu teilen. Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit als Familie gehabt. Diese gemeinsame Stunde, bevor du gegangen bist, war unheimlich wichtig für mich, ich werde nie vergessen, wie ihr euch angesehen habt. Ich habe eure Liebe gesehen. Das tröstet mich – dass ihr in Liebe auseinandergegangen seid.“

    Ein paar Tränen fielen ins kurzgeschnittene Gras. Die salzigen Tropfen flossen über die weiss angezogenen Halme und tauten den frostigen Stoff auf. Rúna kauerte sich neben ihn und zog ihn in ihre Arme, gab ihm Halt und Wärme.

Bärendienst

    Das Türschloss klickte leise, als Fionn mit einer geschickten Handbewegung den Schliessmechanismus aushebelte, um sich Zugang zu Heiðars Wohnung zu verschaffen. Er sollte wohl endlich um einen Schlüssel bitten.

    Durch die kleinen Räume wehte ein angenehmes Potpourri: Frühlingssonne und herbstlicher Regen, Wollgras und Birke, Flieder auf moosbewachsenen Steinen. Fionn stellte hochzufrieden fest, dass Rúna einen guten Einfluss auf Heiðar hatte. Die Wohnung war nun viel ordentlicher.

    Er betrat das Schlafzimmer. Rúnas Sporttasche stand neben dem Schrank. Auf dem Lesesessel hatte sie ein grünes Strickkleid zurückgelassen. Fionn beugte sich darüber und schnupperte eingehend. Sie roch aussergewöhnlich gut und verwendete kaum künstliche Düfte. Vermutlich war sie allergisch auf diese olfaktorischen Sprengkörper. Er verkniff es sich, das Kleidungsstück anzufassen, Heiðar würde das gar nicht gefallen. Sein Blick fiel aufs Bett: Die Kissen waren aufgeschüttelt, die Daunendecke glattgezogen, wie es sich gehörte. Über den Laken schwebte ein schwacher Hauch, eine Wolke der Liebe. Es war nun endlich geschehen, die beiden hatten sich vereinigt und waren zu liebenden Gefährten geworden. Verbunden durch das silberne Band. Zu wissen, dass sein Sohn die Eine gefunden hatte, war ihm ein wunderbarer Trost, der den Verlust seiner geliebten Kristín etwas erleichterte.

    Er hörte, wie sich der blaue Tiguan näherte. Besser er ging ins Wohnzimmer hinüber. Rúna würde sonst womöglich denken, dass er in ihren Sachen wühlte.

    “Fionn ist hier! Er ist mal wieder unerlaubt in meine Wohnung eingestiegen!”, knurrte Heiðar, als er den Wagen vors Haus rollen liess. Rúna ging dieser Gefühlsumschwung etwas zu schnell. Es war keine drei Stunden her, dass Heiðar an Kristíns Grab über die verlorene Liebe seiner Eltern geweint hatte. Sie dachte seither ständig daran, wie Fionn Nacht für Nacht auf dem Friedhof verbrachte. “Ich fürchte mich nicht.“ – „Das solltest du aber. Lass dich durch die Rose auf dem Grab nicht täuschen, Rúna.“ – „Soll ich im Wagen warten, bis er weg ist?” - “Auf keinen Fall! Am sichersten bist du in meiner Nähe, obwohl er viel stärker ist als ich.” Als Heiðar die Wohnungstür aufschloss, blieb sie deshalb sicherheitshalber hinter ihm.

    Fionn kam ihnen freundlich lächelnd aus dem Wohnzimmer entgegen. “Wie schön, dass wir noch aufeinander treffen. Ich wollte gerade gehen.” – “Wer’s glaubt!”, blaffte Heiðar und stellte sich demonstrativ zwischen Rúna und Fionn. “Ich warte im Wohnzimmer.” Fionn verschwand wieder, damit sie im engen Flur ohne komische Verrenkungen Schuhe und Jacken ausziehen konnten, bevor sie ihm folgten. Er hatte sich gemütlich im gestreiften Sessel niedergelassen, die Beine lässig übereinandergeschlagen - so wirkte die Situation gleich viel entspannter, zumindest für ihn. Rúna blieb lieber neben dem Sofa stehen,

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