Silbernes Band (German Edition)
Rúna eilig zum Auto. Falls die Stute sich auf sie stürzte, würde er nicht länger zögern.
Heiðar liess sich gerade rechtzeitig auf den Fahrersitz gleiten und schlug die Tür zu. Mann und Pferd gingen nur wenige Meter entfernt vorbei, die Stute rollte schon wieder die Augen. Wie gut, dass die kleine Braune etwas mehr Respekt vor ihm hatte.
„Wo ist meine Schokolade?“ Rúna kramte vergeblich in der Einkaufstüte. „Hast du etwa...?“ – „Entschuldige, sie war plötzlich weg. Ich kauf dir welche, wenn wir in Luzern sind.“ – „Du solltest dringend an deiner Selbstbeherrschung arbeiten.“
Sie verzieh ihm erstaunlich schnell, ass stattdessen einen Apfel – war ja viel gesünder – und plauderte zwischen den Bissen in einem Fort: „Es war so schön, Fengur wiederzusehen! Dieses Kappzaumtraining ist eine tolle Sache, ich möchte Hnota auch auf diese Weise longieren. Hjalti aus dem Reitverein kann es mir beibringen, der arbeitet seine Pferde nach derselben Methode. Sobald wir zu Hause sind, ruf ich ihn an und frag, ob er mir Unterricht gibt!“
Hjalti! Heiðar war mässig erfreut, im Gegensatz zu Rúna, die geradezu sprudelte vor Begeisterung. Er verspürte hingegen ein wohlbekanntes Kribbeln, das durch die Erinnerungen an seine ersten Jagdausflüge ausgelöst worden war. „Es gibt einige schöne Waldgebiete in der Umgebung von Zürich“, begann er vorsichtig. „Die Wälder sind zwar nicht sehr gross (darf man das behaupten, wenn man Isländer ist?), aber es gibt bestimmt viele Rehe und wahrscheinlich auch Hirsche. Wenn du nichts dagegen hast, gehe ich heute Nacht auf die Jagd.“ Ihre Begeisterung erlosch schlagartig. Sie schwiegen eine Weile, während Rúna angestrengt aus dem Fenster blickte. Sie sah ihn auch nicht an, als sie schliesslich nickte: „In Ordnung, dann bleibe ich bei Fionn.“
Smalltalk
Kurz vor Sieben kehrten sie ins Hotel zurück, wurden bereits von Fionn erwartet. „Hattet ihr einen schönen Tag? Du wirkst etwas erschöpft, Rúna.“ Zur Bekräftigung seiner Feststellung gähnte sie ausgiebig. „Dieses stundenlange Tourist spielen ist ganz schön anstrengend, aber es hat sich gelohnt, wir haben jede Menge gesehen: Erst sind wir über diese berühmte Holzbrücke gegangen...“ – „Die Kapellbrücke, das Wahrzeichen der Stadt“, half er ihr auf die Sprünge. „Ja genau, so heisst sie. Anschliessend haben wir uns das Löwendenkmal angesehen, und Heiðar liess mich durch den Spiegelgarten irren. Das war echt fies. Er hat sich scheckig gelacht, weil ich ständig in die Spiegel geknallt bin.“ – „Du warst einmalig, ich hätte dich filmen sollen.“ Heiðar fand es immer noch ziemlich lustig. „Es ist unhöflich, sich über seine Gefährtin lustig zu machen. Schliesslich kann sie nichts dafür, dass ihre Sinne so schwach ausgebildet sind“, mokierte sich Fionn mit konsternierter Miene. „Na ja, er hat mich schliesslich bei der Hand genommen und mich hindurchgeführt – und ich konnte mich über die anderen Irrenden amüsieren. Zur Strafe musste er die Pizza zum Lunch spendieren.“ – „Ward ihr im Verkehrshaus? Ich sehe mir das immer wieder gerne an. Die alten Fahrzeuge wecken nostalgische Gefühle in mir.“ – „Wir haben den ganzen Nachmittag dort verbracht, es gab so viel zu sehen. Du hättest uns begleiten sollen.“ – „Keine Sorge, ich finde regelmässig Gelegenheit, für einen Besuch in der Schweiz. Ich respektiere selbstverständlich, dass ihr Zeit zu zweit verbringen wollt, und schliesslich habt ihr noch dieses Pferd besucht. Gab es irgendwelche Probleme?“
Heiðar verzog das Gesicht – logisch, dass Fionn danach fragen musste! „Leider liess es sich nicht vermeiden, dass eine kleine Panik ausbrach. Glücklicherweise ist nichts passiert und niemand hat Verdacht geschöpft. Aber ich möchte das nicht so bald wiederholen.“ Rúna biss sich ehrlich zerknirscht auf die Unterlippe. „Das war keine besonders gute Idee, ich hätte allein hinfahren sollen. Aber Susanne und Christian sind echt nett, und Fengur geht’s prima. Und ich hab’ erst noch ein Pferd gesehen, dass vom selben Züchter stammt wie Hnota. Die Stute ist allerdings ziemlich schlecht erzogen – sie wollte mich tatsächlich beissen und hat sogar nach mir geschlagen!“ – „Geh auf keinen Fall darauf ein – das gibt bloss Probleme“, zischte Heiðar lautlos in Fionns Richtung.
Er war so freundlich, verpasste seinem Sohn aber einen kleinen Seitenhieb: „Man sollte
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