Silbernes Band (German Edition)
sich richtig wohl in Fionns Gesellschaft. Ob er irgendwas machte, damit das so war? Eine Art Wohlfühlprogramm, das er nach Belieben starten konnte? Seine charmante Art liess einen leicht vergessen, wie grausam er sein konnte.
Wie um sie daran erinnern zu wollen, war die warme Geborgenheit plötzlich weggewischt und machte einem kühlen Hauch Platz, der sie frösteln liess. Seine Augen waren eindringlich auf sie gerichtet, als ob er in sie hineinblickte. Ob gleich um die Ecke das Monster auf sie lauerte?
„Du magst es nicht, wenn Heiðar auf die Jagd geht“, stellte er fest. Er hatte sie also doch noch erwischt, sie hätte es wissen müssen. Das freundliche Geplauder war bloss ein Ablenkungsmanöver, um sie einzulullen. Sein Blick blieb unverwandt auf sie geheftet, also musste sie wohl oder übel antworten. Sie wickelte eine Locke auf ihren Zeigefinger und holte tief Luft: „Es ist nicht so, dass ich kein Verständnis dafür habe. Ich finde es ehrlicher, selbst zu jagen, als sich ein Steak im Laden zu kaufen.“ Er nickte anerkennend: „Das ist eine fortschrittliche Einstellung, Respekt.“ Rúna seufzte: „Ich dachte, dass er das jetzt nicht mehr braucht, wenn er jeden Tag Spenderblut trinkt“, fuhr sie fort. Er schwieg einen Moment, richtete sich auf und sah ihr direkt in die Augen. „Die Jagd liegt in unserer Natur. Es geht nicht allein darum, den Blutdurst zu stillen, und es gibt wohl keinen Unsterblichen, der gänzlich darauf verzichten kann. Heiðar ist da keine Ausnahme, auch wenn er zur Hälfte sterblich ist und wie ein Mensch aufwuchs. Er sagt selbst, dass seine unsterbliche Seite stärker geworden ist, seit er mit dir verbunden ist. Du musst Verständnis dafür haben.“ – „Das versuche ich, aber es geht hier nun mal um mehr als eine verrückte Marotte. Es ist ziemlich heftig, sich vorzustellen, was er macht, wenn er auf die Jagd geht.“ – „Du musst dich ernsthaft bemühen. Heiðar liebt dich sehr. Seine Liebe zu dir ist nicht menschlich, sie ist viel tiefer. Er wird nicht einfach aufhören, dich zu lieben, und gewisse Dinge sind ihm beinahe unerträglich. Von dir getrennt zu sein, wenn ein Anderer dich begehrt oder wenn du ihn nicht mehr lieben würdest.“
Rúna hörte ihm schweigend zu. Sie waren von der Jagd zur Liebe gekommen. Fionn befürchtete wohl, dass sie Heiðar verlassen könnte, weil sie nicht damit zurechtkam, was er war. „Es ist wunderschön, so sehr geliebt zu werden, und ich bin der Meinung, dass meine Liebe genauso stark ist. Aber manchmal habe ich Angst davor. Dann glaube ich, ausbrechen zu müssen, weil ich sonst keine Luft mehr kriege.“ Fionn nickte verständnisvoll, was sie nicht unbedingt erwartet hätte. „Vielleicht fürchtest du dich vor der Verantwortung dem Geheimnis gegenüber.“ – „Nein, ich glaube nicht dass es das ist. Eher Angst vor dem Ungewissen, das möglicherweise irgendwo auf mich lauert.“ – „Ich kann dich beruhigen, Rúna. Wir bemühen uns, dich vor solchen Dingen zu bewahren. Aber gewissen Tatsachen darfst du dich nicht verschliessen. Sprich offen mit ihm über seinen Jagdtrieb. Du musst versuchen damit zurechtzukommen, es ist nicht seine Schuld.“ Er liess diese Worte im Raum stehen. Genug geredet, Rúna sollte sich besser schlafen legen.
Sie fühlte sich plötzlich sehr müde. „Ich geh schlafen. Gute Nacht, Fionn.“ - „Schlaf gut mein Liebes.“ Er nickte ihr freundlich zu, als sie aufstand und ins Schlafzimmer hinüber ging. Obwohl sie kaum noch die Augen offen halten konnte, wollte sie rasch unter die Dusche, schliesslich roch sie nach Pferd. Das prickelnde Wasser hatte leider den Effekt, dass sie wieder munter wurde. Unendlich lange wälzte sie sich anschliessend in dem bequemen Bett, das für sie allein doch viel zu gross war.
Jagdfieber
Heiðar rannte mit nacktem Oberkörper durch den stillen Wald und liess die kalte Winterluft in seine Lungen strömen. Seine Nasenflügel spannten sich an: Da vorn verbargen sich drei Rehe im scheinbar sicheren Unterholz. Er verlangsamte den Schritt, um sich leise an sie heranzupirschen, den Körper gespannt wie eine Feder. Jetzt war er nah genug, um sich mit einem geschmeidigen Sprung auf eines der Tiere zu stürzen. Die Rehe stoben erschreckt auseinander, brachen in Panik durchs dichte Gestrüpp. Sein Opfer kam nicht weit. Er fing es mitten im Sprung auf, hielt den zerbrechlichen Körper gerade fest genug, um es nicht zu zerquetschen und landete lautlos auf dem schneebedeckten
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