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Silbernes Band (German Edition)

Silbernes Band (German Edition)

Titel: Silbernes Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Jaedig
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Das mit Chlor versetzte Wasser brannte auf der verletzten Haut, dennoch blieb sie lange unter dem prasselnden Strahl, wusch sich gründlich die Haare und seifte sich überall ein, um das Erlebte abzuwaschen. Sie fühlte sich beschmutzt durch George’s Hände, versuchte verzweifelt, die roten und blauen Flecke wegzurubbeln. Es ging nicht, sie musste kapitulieren, drehte den Hahn zu und stieg aus der Dusche. Sie war froh, dass Heiðar sie allein liess. Bestimmt würde er sich noch schlechter fühlen, wenn er ihre Verletzungen sah. Nachdem sie sich abgetrocknet hatte, cremte sie ihre Blessuren ein und zog sich dann die bequemen Sachen über. Sie wollte heute auf gar keinen Fall das Haus verlassen, hier in Fionns Wohnung fühlte sie sich sicher. Rúna öffnete die Badezimmertür und trat wieder ins Schlafzimmer. Heiðar stand noch immer reglos am Fenster und sah hinaus. Die weissen Verbände hoben sich deutlich von der blassen Haut ab. Sie trat von hinten an ihn heran, schlang ihre Arme um ihn und küsste ihn leicht zwischen die Schulterblätter. Er drehte sich zu ihr um und erwiderte die Umarmung. So hielten sie einander eine Weile fest. „Wir sollten frühstücken“, schlug sie vor. Er nickte stumm und holte sich ein T-Shirt aus dem Ankleideraum, bevor sie in die Küche rüber gingen.

    Sie setzten sich an den reichlich gedeckten Tisch. „Möchtest du Kaffee?“ Sie hielt abwartend die gläserne Kanne über seinen Becher. Wieder nur ein schwaches Nicken. Sein Blick war starr auf die Schüssel mit Müsli gerichtet, als würde er in der gesunden Pampe eine Antwort finden auf die furchtbaren Ereignisse der letzten Nacht. Sie legte ihre schmale Hand auf seinen Arm und versuchte, ihn ins Jetzt zurückzuholen. Er fühlte die warme Berührung, die er beinahe für immer verloren hätte, doch er konnte sie nicht erwidern. Rúna strich noch einmal sanft über die dunklen Härchen auf seinem Unterarm, überliess ihn dann seinen Gedanken. Er war zu weit weg, sie konnte ihn im Moment nicht erreichen, musste ihm etwas Zeit lassen. Obwohl sie keinen Hunger hatte, nahm sie sich eine Scheibe Toast, schmierte Butter und Orangenmarmelade darauf und zwang sich, davon abzubeissen. Heiðar nahm sich ein Beispiel an ihr, schöpfte etwas von dem Müsli in seinen Teller und löffelte schweigend. Dazwischen spülten sie mit Kaffee nach, sprachen aber kein Wort. Er war froh, dass sie ihn nicht drängte. Im Moment war er nicht in der Lage, seine Qual in Worte zu fassen.

    Sie hörten irgendwann auf zu essen, wussten nicht, ob sie satt waren, aber der Kaffee war alle. Wie üblich räumten sie gemeinsam die Küche auf. Ein kleines Stück Normalität, bloss lachten und scherzten sie heute nicht. Heiðar versuchte an diesem Morgen keinen Wettbewerb daraus zu machen, wer sein Geschirr als Erster in die Spülmaschine gestellt hatte oder wem es gelang, sich die Milch zu schnappen, um sie mit Schwung im Kühlschrank verschwinden zu lassen. Er schlang nicht übermütig die Arme um sie, als sie am Spültrog stand, um den Kaffeefilter abzuwaschen.

    Als es nichts mehr zu tun gab, suchten sie die Normalität im Wohnzimmer, setzten sich - noch immer sprachlos - auf eines der Sofas. Rúna griff vorsichtig nach seiner Hand und hoffte vergeblich, dass er sie ansah. Seine ganze Aufmerksamkeit galt dem dunklen Nussbaumparkett und den mikrofeinen Staubkörnern, die sich darauf niedergelassen hatten. Fionn betrat den Raum und setzte sich lautlos zu ihnen.

    „Warum? Warum hat er das getan?“, brach Rúna das lähmende Schweigen. Heiðar hob den Kopf, sah durch seinen Vater hindurch, der voller Besorgnis den Schmerz der beiden musterte. Er musste ihnen eine Erklärung geben: „Ich denke auch die ganze Zeit darüber nach. George hegte seit vielen Jahren den Wunsch, ein Mitglied des Rates zu werden. Er versuchte sich deshalb, auf jede erdenkliche Weise bei unserem Vorsitzenden anzubiedern, was dieser nicht besonders schätzte. Ich gab ihm einmal den Rat, sich etwas zurückzuhalten, um den Vorsitzenden nicht unnötig zu verstimmen. Doch wir waren nicht verfeindet, falls ihr das denkt. George und ich waren wohl in gewisser Weise Konkurrenten, was die Position innerhalb der Gesellschaft angeht. Als es darum ging, wer die Leitung über die Blutbanken innehaben sollte, habe ich das Rennen gemacht. Die ganze Sache lief sauber und geordnet ab, es gab keinen Anlass anzunehmen, dass er mich deswegen hasste. Zum Ausgleich habe ich ihm damals die Koordination der

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