Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
leben.
Tränen glitzerten in Neelys Augen.
Sie war ein Tagmensch, falls sie je ihr Fleisch und Blut gegen Unsterblichkeit
eintauschte, würde sie sich immer nach der Sonne sehnen, selbst wenn die
Strahlen ihren Tod bedeuteten.
Sie dachte noch darüber nach, als
plötzlich jemand den freien Platz neben ihr besetzte.
Eine wilde Hoffnung erwachte in
Neelys Herz, aber dann sah sie, daß der Besucher nicht Aidan war, sondern
Maeve. Die Vampirin war in ein weites Cape aus herrlichem blauem Samt gehüllt,
ihr Haar unter der Kapuze verborgen, und die nervöse Spannung, die sie
ausstrahlte, griff sofort auf Neely über.
»Wo ist Aidan?« fragte Maeve mit
leiser Stimme.
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Neely
und berichtete Maeve dann flüsternd von Aidans plötzlichem Erscheinen in der
Nacht zuvor, beschrieb ihr seinen Zustand und ihre eigenen ungeschickten
Bemühungen, ihm zu helfen.
Maeve schwieg eine Zeitlang
nachdenklich. »Ich verstehe«, sagte sie dann.
Die Bemerkung erschien Neely
rätselhaft, sie war jedoch nicht dumm genug, es auszusprechen.
»Es war sehr klug von Ihnen, mein
Haus zu verlassen, obwohl ich Ihnen nicht dazu geraten hätte«, erklärte Maeve
schließlich. »Vielleicht sind Sie hier am sichersten, im Herzen von London und
mitten unter all diesen vielen Menschen.«
Das Filmtheater war fast leer, aber
wieder behielt Neely diesen Gedanken für sich. »Bin ich wirklich in so
schrecklicher Gefahr?« fragte sie.
Maeve musterte sie einige Sekunden
lang schweigend, dann nickte sie. »Ja«, bestätigte sie ernst, »das sind Sie.
Nach allem, was geschehen ist, würde ich Ihnen empfehlen, im Hotel zu bleiben,
zumindest nachts. Denn dies ist die Zeit, in der wir Vampire uns unsere Opfer
suchen.«
Neely lief ein Schauer über den
Rücken. Ihr war bewußt, daß Maeve Tremayne sich jeden Augenblick in ein wildes
Biest verwandeln, sie angreifen und töten konnte. »Gibt es irgend etwas, was
ich Aidan von Ihnen ausrichten kann, falls ich ihn vor Ihnen sehe?«
Das schöne Wesen erstarrte, ihr
bleiches Gesicht schimmerte wie Alabaster.
Einen Herzschlag zu spät erkannte
Neely ihren Irrtum.
Maeve beugte sich vor, so weit, daß
Neely zusammenzuckte, und wisperte: »Aidan und ich waren im selben Schoß verwurzelt.
Wir sind zusammen aufgewachsen, und unsere Herzen schlagen in perfektem
Gleichklang. Niemand wird mich jemals in seinem Herzen ersetzen!«
»Ich will nicht seine Schwester
sein«, entgegnete Neely kühl und wunderte sich über ihren Mut.
»Nein? Was könnten Sie denn schon
für ihn sein, wenn Sie nicht bereit sind, ein Vampir zu werden?«
Neely wurde langsam ärgerlich. »Ich
liebe Aidan. Er ist ein Teil meiner selbst, und ich bin ein Teil von ihm. Und
falls es ihm gelingt, die Verwandlung herbeizuführen, werde ich seine Frau
sein, seine Partnerin, in alle Ewigkeit, falls ich etwas dazu zu sagen habe —
und ich werde ihm Kinder gebären.«
Maeve schwieg so lange, daß Neely
ganz unbehaglich zumute wurde. »Sagen Sie Aidan, daß er nicht die weißen Rosen
vergessen soll«, sagte die Vampirin schließlich betrübt und löste sich vor Neelys
Augen in grauen Dunst auf.
Neely gab es auf, den Film
weiterverfolgen zu wollen, und verließ das Kino. Selbst zu dieser späten Stunde
herrschte noch starker Verkehr auf den Straßen der Innenstadt. Begleitet von
wütenden Hupsignalen und lautstarken Verwünschungen, die einzelne Autofahrer
untereinander austauschten, eilte Neely zu ihrem Hotel zurück.
Es war eine Enttäuschung, Aidan dort
nicht vorzufinden, eine Erkenntnis, die Neely erst akzeptierte, als sie unter
dem Bett und hinter dem Duschvorhang nachgeschaut hatte.
Sie war überzeugt, daß sie keinen
Schlaf finden würde, und schlug ihren Roman auf.
Aidans Sehvermögen kehrte nur
stufenweise zurück — die Gäste der Last Ditch Tavern waren nichts als
Schatten für ihn — obwohl seine anderen Sinne sich recht schnell erholten.
Während er sich langsam durch die Menge bewegte, nahm er hier einen Geruch wahr
und schnappte dort einen Gesprächsfetzen auf.
In dieser Nacht war die Jagd eine
reine Überlebensfrage für ihn.
Endlich fand er ein geeignetes
Opfer, einen jungen Dieb namens Tommy Cook, der sich seinen Lebensunterhalt mit
dem Raub von Handtaschen und gelegentlichen Überfällen in Supermärkten
verdiente. Tommys Gehirn war ein schmutziger, unangenehmer Platz, aber Aidan
pflanzte dort einen Gedanken, dessen Saat schon sehr bald aufging.
Cook schlenderte auf den düsteren
Korridor hinaus,
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