Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
täuschend liebevolles Lächeln
auf. »Glaubst du, daß dein Freund auch eine Tasse möchte?«
Benecia verdrehte die Augen. »Hast
du etwa den Eindruck, daß er durstig ist?«
Canaan tat, als schenkte sie ein,
dann reichte sie ihrer Schwester die winzige Tasse ohne Inhalt. »Sei doch
nicht so langweilig!« bemerkte sie spitz. »Ich bitte dich schließlich nicht um
etwas Unanständiges.«
Ihre ältere Schwester tat, als ob
sie an der Tasse nippte. Ihre Mutter, Roxanne, pflegte das gleiche alberne
Spiel mit Tellern, Gläsern und Silberbesteck zu treiben, als ob sie noch
Menschen wären und Nahrung und Getränke brauchten.
Aidan stöhnte und bewegte sich.
»Da, sieh mal!« rief Canaan. »Er
will doch Tee haben!«
Benecia stellte klirrend ihre Tasse
ab und eilte an Aidans Seite. »Du liebe Güte, Canaan, nimm dich zusammen! Er
will keinen Tee — er stirbt!«
»Blödsinn«, entgegnete Canaan
schroff. »Vampire sterben nicht.«
Bevor Benecia etwas erwidern konnte,
wurden sie von dunklen Gestalten umringt. Sie und Canaan drängten sich dicht
zusammen und begannen heftig zu zittern, weil sie die Wesen nicht erkannten.
»Sieh mal«, wisperte Canaan. »Wir
haben Gäste für unsere Teeparty.«
»Wer sind Sie?« fragte Benecia eine
der verhüllten Gestalten, in der Hoffnung, daß niemand ihr anmerkte, wie
eingeschüchtert sie war. »Und was wollen Sie?«
Ein wild aussehender Vampir trat
vor, mit Haaren und Bart so rot wie Feuer. Er ähnelte einem Wikinger mit seinen
harten Gesichtszügen und seiner riesenhaften Gestalt.
Ohne Benecia einer Antwort zu
würdigen, bückte er sich, hob Aidans leblosen Körper auf und legte ihn über
seine Schulter.
»Warten Sie!« rief Benecia, stürzte
auf den Vampir zu und zerrte aufgeregt an seinem Kuttenärmel. »Wo werden Sie
ihn hinbringen?«
Auch diesmal antwortete der Wikinger
nicht, sondern verschwand mit Aidan und den anderen düsteren Gestalten in der
Dunkelheit.
Canaan ergriff Benecias Arm, als sie
ihnen folgen wollte. »Laß sie gehen«, sagte sie ruhig. »Wir werden schon ein
anderes Spielzeug finden.«
Benecia zitterte am ganzen Körper.
»Ich wollte ihn!«
»Reg dich nicht auf«, entgegnete
Canaan und drohte Benecia mit dem Zeigefinger. »Er ist fort, und von mir aus
kann es auch so bleiben.« Mit einem triumphierenden Lächeln füllte sie Benecias
Tasse mit Nichts, mit Leere, so daß ihr nichts anderes übrigblieb, als so zu
tun, als ob sie tränke.
Lisette kauerte in einem Winkel ihres
Verstecks tief in den Fundamenten ihrer Villa an der Küste Spaniens und
wimmerte leise vor sich hin. Ihre Arme und Beine waren mit Brandmalen bedeckt,
ihr Gesicht war verzerrt und sehr entstellt. Das einst so wundervolle Haar war
strähnig und schütter, die Kopfhaut schwarz und brüchig wie versengtes
Pergament.
Sie warf den Kopf von einer Seite
auf die andere und heulte laut ihren Gram hinaus. Sie war solch eine Närrin
gewesen, sich diese wenigen Minuten mit Aidan abzugeben, gefangen in ihrer
alten Faszination für ihn und ohne irgendeine Verwundbarkeit gegenüber den
Sonnenstrahlen zu bedenken! Nun war er ihrer Rache entkommen, genau wie dieser
abscheuliche Valerian, und das war eine Erkenntnis, die Lisette als fast noch
schmerzhafter empfand als ihre Verletzungen.
Zu erschüttert, um sich zu erheben,
ließ Lisette sich auf eine Seite sinken und rollte sich zusammen.
Ihr Körper war ein unerträglicher
Aufenthaltsort, und sie verließ ihn, um an glücklicheren Orten zu wandeln, weil
sie wußte, daß sie irgendwann zurückkehren würde, stärker und schöner als je
zuvor. Und dann würden Valerian und Aidan das ganze Ausmaß ihres Zorns zu
spüren bekommen.
Neely erwachte mit einem jähen Schreck,
das Buch entglitt ihren Händen und fiel klappernd auf den Boden. »Aidan?« wisperte
sie, obwohl sie wußte, daß er nicht bei ihr im Hotelzimmer war. Und dennoch
hatte sie das untrügliche Gefühl, daß er sich in großer Gefahr befand.
Sie eilte ans Fenster und zog den
Vorhang zurück. Die Morgendämmerung war noch einige Stunden entfernt, aber es
hatte aufgehört zu schneien, und Taxen und Busse bewegten sich über die
verschneiten Straßen.
Neely packte rasch ihre wenigen
Sachen ein, zog den Mantel an und nahm den Aufzug ins Foyer, um ihre Rechnung
zu begleichen. Ein Taxi anzuhalten, nahm jedoch mehr Zeit in Anspruch, als sie
gehofft hatte, und sie war halb erfroren, als endlich ein Wagen vor ihr hielt.
Fröstelnd vor Kälte setzte sie sich auf den Rücksitz und gab dem
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