Silbernes Mondlicht, das dich streichelt
kann?«
Maeve schloß die Augen. »Ich muß
glauben, daß er ihr entkommen wird«, sagte sie. »Denn sonst könnte ich nicht
weiterleben.« Damit wandte sie sich ab und wäre ins Haus zu ihren Gästen
zurückgekehrt, wenn Valerian sie nicht gewaltsam zurückgehalten hätte. Er packte
sie an den Schultern und drehte sie zu sich herum.
»Vielleicht bist du bereit, Lisette
ihre boshaften Spielchen mit Aidan treiben zu lassen, bis sie beschließt, ihn
umzubringen, aber ich bin es nicht, Maeve! Und ich bin so mächtig wie du —
vergiß das nicht!«
Sie zitterte. »Was willst du von
mir?«
»Daß du tief in dich hineinschaust«,
befahl Valerian mit leiser, hypnotisierender Stimme. »Dort wirst du Aidans
Spiegelbild sehen. Sag mir, wo ich ihn finden kann, Maeve.«
Maeve begann zu frösteln. »Er steht
auf einer Terrasse — wie dieser hier ...« Sie stieß einen leisen, unbewußten
Schrei aus und schlug beide Hände vor den Mund. »Oh, Valerian Aidan ist in
Lisettes Villa an der Küste Spaniens!«
Valerian gab sie so abrupt frei, daß
sie auf den gekachelten Boden der Terrasse sank, zu geschwächt von ihrem
Entsetzen, um sich aufzurichten. Valerian breitete sein Cape aus und begann
sich zu drehen, doch bevor er eine komplette Drehung vollzogen hatte, war er
schon verschwunden.
Maeve blieb eine Weile benommen auf
dem Kachelboden sitzen und schluchzte in stummer Verzweiflung, weil auch sie
gern ihrem Bruder zu Hilfe geeilt wäre, wie Valerian es tat, aber sie wußte,
daß Aidan ihr das nie verziehen hätte. So überstürzt und töricht sein Entschluß
auch sein mochte, niemand, nicht einmal Valerian persönlich, würde imstande
sein, ihn davon abzubringen.
»Sie sind aber wirklich
abenteuerlustig.«
Aidan drehte sich rasch um, obwohl
er wußte, daß die Stimme hinter ihm nicht Lisettes war, und entdeckte einen jungen
Mann, der mit verschränkten Armen an der Mauer ihrer Villa lehnte. Er war ganz
in Schwarz gekleidet, wie ein Einbrecher, und er grinste schalkhaft. Nach
Aidans Schätzung konnte der Junge nicht älter als siebzehn sein.
»Wer sind Sie?«
Der junge Vampir stieß sich mit einem
Fuß von der Mauer ab. »Ich heiße Tobias — Aidan. Sie sollten wachsamer sein. Es
ist pures Glück, daß Lisette heute abend woanders jagt.«
»Glück?« entgegnete Aidan spöttisch.
»Ich würde eher sagen, es ist Pech.« Er zupfte an den Manschetten seines Dinnerjacketts.
»Was wollen Sie — Tobias?«
»Nichts. Ich bin hier, weil Sie etwas
wollen. Oder zumindest ist es das, was Sie Aubrey Havermail sagten — daß Sie
sich eine Audienz mit einem Vertreter der Bruderschaft wünschten.«
Aidan war sehr verblüfft, doch er lächelte
und bot Tobias seine Hand. »Sind Sie nicht ein wenig jung, um einem solch
ehrwürdigen Bund anzugehören?«
Tobias grinste überlegen. »Das kommt
ganz darauf an, wie Sie das Wort jung definieren. Ich war einer der
ersten Vampire, die erschaffen wurden.« Der erstaunte Ausdruck auf Aidans
Gesicht schien ihn zu erfreuen. »Kommen Sie. Selbst wir Ältesten kommen nicht
gern mit Lisette in Berührung. Sie kann ein solches Biest sein.«
Im nächsten Augenblick wurde es
dunkel um Aidan, und er vernahm ein Rauschen. Als er wieder bei Bewußtsein war,
stand er mit Tobias in einem Tunnel neben einem unterirdischen Fluß. Es brannte
kein Licht, aber das machte nichts, denn das Sehvermögen eines Vampirs ist am
schärfsten in absoluter Finsternis.
»Wo sind wir?«
Tobias seufzte. »Das brauchen Sie
nicht zu wissen«, antwortete er. Dann seufzte er noch einmal. »Ich fürchte,
Aubrey hatte recht im Hinblick auf Sie, Aidan. Sie sind kein guter Vampir.«
»Nein«, sagte Aidan ruhig. »Das bin
ich nicht.«
»Er sagt, Sie wollten wieder in
einen Menschen zurückverwandelt werden.« Die Worte hallten durch den dunklen
Tunnel. »Ist das wahr?«
»Ja«, antwortete Aidan. Er spürte
Erregung in sich aufsteigen, aber auch große Angst. »Ich bin nicht freiwillig
ein Vampir geworden. Man hat mir dieses Schicksal auferzwungen.«
»Sie sind nicht der erste«,
erwiderte Tobias ungerührt.
»Mag sein«, stimmte Aidan zu. »Aber
ich bin ein schwaches Glied in der Kette. Sie haben ja selbst gesehen, dort auf
Lisettes Terrasse, wie leicht es ist, mich zu überrumpeln. Angenommen, ich
fiele in die Hände jener, die Feinde aller Vampire sind — in die Hände des
Racheengels beispielsweise. Wie war doch noch sein Name? Ah ja, Nemesis! Was
wäre, wenn er mich gefangennähme und zwänge, ihm alles zu verraten,
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